Am ersten Oktobertag mit richtig nasskaltem Wetter hat EASTPAK tatsächlich genau das richtige Gegenmittel, um der langsam einsetzenden Herbstdepression gehörig in den Arsch zu treten: Die diesjährige Eastpak Antidote Tour hat mit Punk, Hard- und Metalcore-Granaten wie AUGUST BURNS RED und A DAY TO REMEMBER ein richtig fettes Line-Up am Start.
Nach unserem netten Interview (Artikel folgt) mit den beiden AUGUST BURNS RED Gitarristen JB und Brent, ist um 18:30 Uhr bereits seit einer halben Stunde Einlass. Daher begeben wir uns zügig zum Eingang, wo mir schnell klar wird, warum die diesjährige Show im Docks nicht ausverkauft ist: 42 Euro kostet ein Ticket an der Abendkasse und auch der Vorverkaufspreis war nur unwesentlich günstiger. Das ist besonders im Vergleich zur Never Say Die! Tour, die zur Zeit ebenfalls durch unsere Gefilde rollt, schon richtiger Wucher und es ist erstaunlich, wie viele von den sehr jungen Gästen dennoch bereit waren, den deftigen Eintrittspreis zu löhnen.
Pünktlich um 19 Uhr ist es Zeit für den ersten Act des heutigen Abends, und LIVING WITH LIONS aus Vancouver, Kanada stürmen die Bühne des Docks. Brent von AUGUST BURNS RED stellte sie mir als „a little edgier than THE GASLIGHT ANTHEM“ vor, was ich allerdings nicht wirklich unterschreiben würde. LIVING WITH LIONS machen „Gute Laune Pop-Punk“ ohne Aggressionen und mit sehr viel Melodie. Das ist zwar ganz nett, reißt aber das Publikum nicht wirklich mit, obwohl die Band sich hochmotiviert und immer in Bewegung präsentiert. Der Schwerpunkt der Setlist liegt auf dem aktuellen Redfield Record Release „Holy Shit“.
Nach etwas Recherche wundere ich mich immer mehr, dass gerade die Christen von AUGUST BURNS RED mir diese Band empfohlen haben, da das neueste Album der Kanadier die Bibel doch ziemlich auf die Schippe nimmt. Allein das Cover zur Scheibe ist wie die Bibel aufgemacht – statt „The Holy Bible“ steht dort aber „Holy Shit“.
Aber auch derartige Provokationen helfen den Kanadiern am heutigen Abend nicht. Die Hamburger lassen sich höchstens mal zu einem Mitwippen motivieren oder nach Ansage von Sänger Stuart Ross zum kurzzeitigen Klatschen. Gegen Ende wirkt dann auch der anfangs so engagierte Frontmann resigniert und bezeichnet die Menge als „lazy“ und „tired“. Auch ein letztes „Hamburg help me out here“ bringt keinen Umschwung mehr, und so verlassen die Jungs am Ende sang- und klanglos die Bühne.
Eine 180-Grad-Wendung nimmt die Stimmung direkt nach dem theatralischen Intro von THE GHOST INSIDE, als Sänger Jonathan Vigil mit einem brachialem „Germany!“ und der Ankündigung des ersten Songs „Unspoken“ das Set der Kalifornier eröffnet. Das anwesende Publikum steht also eindeutig auf aggressivere Musik mit zermalmenden Breakdowns, drückenden Drums und fetten Growls. „Groupshouts“ werden textsicher mitgebrüllt, was den symphatischen Sänger regelmäßig zum Strahlen bringt.
Wie bereits LIVING WITH LION bedankt sich die Band artig bei Eastpak und erwähnt ebenfalls lobend alle anderen Bands des heutigen Abends. AUGUST BURNS RED wird dann sogar der Song „Overlooked“ gewidmet. Nach einer guten halben Stunde gibt es noch das wunderbare, an PARKWAY DRIVE erinnernde „Break The Liners“, und dann ist leider auch schon Schluss. Da ich THE GHOST INSIDE vorher nicht kannte, sind sie für mich definitiv die Entdeckung des Abends!
AUGUST BURNS RED eröffnen ihr Set um 20:45 Uhr mit ihrem obligatorischen Eröffnungssong vom Danceact ROZALLA „Everybody's Free To Feel Good“. Beim Refrain geht das Licht an und der komplette Saal klatscht im Takt. Die darauf folgenden Technobeats sorgen dann für eine noch ausgelassenere Partystimmung. „Composure“ ist der erste Song der Christen aus Manheim, Pennsylvania, welcher gewohnt brachial, fett und episch daherkommt. Sänger Jake gibt sich wie immer sehr theatralisch und reißt in regelmäßigen Abständen seine Arme in Richtung seines Schöpfers, was aber absolut zu den Lyrics der Band passt und bei ABR auch tatsächlich vom Herzen kommt und nicht aufgesetzt wirkt. Aber auch die anderen Musiker und besonders die Saitenfraktion – bestehend aus Dustin, Brent und Hauptsongwriter JB – wirkt wesentlich selbstbewusster und erwachsener als noch vor einem Jahr. Auf kleinen Podesten am Rand der Bühne stellen sie das komplette Set über ihr Können unter Beweis.
Beim zweiten Song „Empire“ vom aktuellen Album Leveler wird der hymnenartige Kinderchorpart einfach komplett vom Publikum übernommen – ein absoluter Gänsehautmoment! Der Hit „White Washed“ vom Durchbruchsalbum Constellations ist ein Selbstgänger und sorgt für jede Menge Circlepits. Sehr viele der Fans haben sich bereits vor der Show mit einem Bandshirt gewappnet und es dominieren unglaublich viele AUGUST BURNS RED Shirts mit der Aufschrift „Don't Say Another Word – You've Crossed The Line“ auf dem Rücken. Da diese Textzeile ebenfalls aus dem Song „White Washed“ stammt, wird dieser mehrfach wiederholte Satz der Lyrics dann besonders frenetisch abgefeiert und mitgegröhlt. Jetzt folgt die aktuelle Single „Internal Cannon“ mit den herrlichen Latin-Gitarren Passagen, bei denen Sänger Jake dann auch ein wenig in Tanzstimmung gerät, ohne dabei ein Stück seiner Coolness einzubüßen. Im Gegenteil – dieser Song und die komplette Performance sind ein absolutes Highlight am heutigen Abend. Danach verlangt die Band nach Feuerzeugen und fordert „Put a little love in the air“, worauf sich das Docks in ein Lichtermeer verwandelt. Passend dazu stimmen ABR das atmosphärische „Marianas Trench“ an – ein Traum! Der Rest des Publikums scheint genauso angetan zu sein wie ich, und alle rufen im Chor „ABR Number One“. Zur Belohnung folgen dann noch „Meddler“, „Cutting the Ties“, „Poor Millionaire“ und „Back Burner“.
Ich bin hin und weg und kurz davor, bereits jetzt glücklich nach Hause zu gehen, denn A DAY TO REMEMBER haben mich bis heute weder mit ihrem poppigen Metalcore noch ihren Konzerten umgehauen. Leider verläuft mein Plan dann doch etwas anders, da ABR Sänger Jake am Merchandisestand für Fragen seiner Fans bereitsteht und aus meinem Interview mit den beiden ABR Gitarristen doch noch die eine oder andere Lyrics-Frage unbeantwortet geblieben ist. Der symphatische Frontmann nimmt sich jede Menge Zeit für seine Fans, so dass ich gar nicht mitbekomme, dass A DAY TO REMEMBER bereits angefangen haben.
Ein klein wenig schaue ich mir dann doch noch die Show von ADTR an, bin allerdings auch heute nicht überzeugt. Ihr poppiger Punk, gespickt mit einigen tieferen Growls, die Sänger Jeremy McKinnon im Gegensatz zu den hohen melodischen Passagen richtig gut beherrscht, lässt außer mir die meisten Anwesenden ausgelassen feiern und mitsingen. Hinzu kommen jede Menge Showeffekte wie Konfetti, Luftballons, fliegende Klopapierrollen oder ein durchsichtiger Riesenballon, in welchen Sänger Jeremy hineinsteigt, um darin über die Menge zu surfen. Sicherlich hat die Show der Band aus Florida durch diese Spielereien einen gewissen Unterhaltungswert, für mich persönlich ist weniger meistens mehr, und daher ziehe ich Bands wie ABR definitiv vor, bei denen die Musik im Vordergrund steht und nicht die Show.
Obwohl der diesjährige Headliner nicht mein Fall ist, hat sich die EASTPAK ANTIDOTE Tour auch 2011 absolut gelohnt. Die Show von AUGUST BURNS RED war die beste von allen fünf Gigs, die ich bereits von den Jungs besucht habe. Wenn im nächsten Jahr die Ticketpreise dann noch etwas humaner ausfallen, kann ich die Tour jedem nur wärmstens ans Herz legen!
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