Geschrieben von Montag, 03 Februar 2014 18:50

Fleshgod Apocalypse - Interview zu "Labyrinth" und zur Tour mit Tommaso Riccardi

Die Extreme Metal Band FLESHGOD APOCALYPSE aus Italien landete mit ihrem aktuellen Album „Labyrinth" im Nuclear Blast Jahresabschluss-Poll 2013 vor Bands wie CARCASS, HYPOCRISY oder AMORPHIS. Derzeit sind sie viel unterwegs, um die Bretter dieser Welt mit ihrer eigenwilligen Mischung aus Technical Death Metal und klassischen Elementen zu zerlegen. Gründe genug, um Sänger und Gitarrist Tommaso Riccardi im Rahmen des Konzerts im Club Vaudeville in Lindau genauer auf den Zahn zu fühlen.


Hi Tommaso – großartige Show, die ihr heute Abend abgeliefert habt! Wie war der Auftritt aus eurer Sicht?

Danke! Echt cool – es ist natürlich immer toll, auf der Bühne zu stehen. Wir versuchen daher, jeden Abend das größte Maß an Energie aus uns heraus zu holen. Manchmal gelingt das besser, manchmal schlechter. Auf dieser Tour lief es für uns bisher wirklich gut. Das liegt auch an den ausverkauften Shows und dem vielen positiven Feedback, das wir bekommen. Die Show heute war super, wir sind sehr zufrieden und entspannt.

Ihr seid momentan wirklich wahnsinnig viel unterwegs. Gestern habt ihr in der Schweiz gespielt, morgen geht es für Euch nach Italien. Beschreib' uns doch bitte mal einen typischen Tag im Tourbus mit FLESHGOD APOCALYPSE.

Unser Touralltag ist wahrscheinlich normaler, als man meinen könnte, haha ... Das Tourleben hat seine guten und schlechten Seiten. Es ist sehr hart, sich jeden Tag gleichermaßen auf 100 Prozent zu pushen, aber wenn du dieses Level hast und dich darauf fokussierst, ist diese Energie der Grund, weshalb du das alles machst. Manchmal ist es auf eine gewisse Art ... ich will nicht sagen langweilig – aber sehr routiniert. Viele Tage laufen einfach ähnlich ab.

Weil wir nach der Show eine gewisse Zeit brauchen, um von der Anspannung und dem Adrenalin runterzukommen, kommen wir oft erst in den Morgenstunden ins Bett und schlafen dann auch sehr lange. Du kriegst nicht viel davon zu sehen, was da draußen in der jeweiligen Stadt los ist.
Wir wachen auf, essen etwas und dann geht es ans Ausladen. Danach geht es natürlich mit dem Aufbau und Vorbereiten der Bühne weiter, worauf wiederum der Soundcheck folgt. Wir haben gerne alle wichtigen Details rechtzeitig geklärt, um wirklich gute Arbeit leisten zu können. Der Nachmittag vor der Show geht so immer sehr schnell vorbei.

Nach der Show bauen wir alles wieder ab, verladen unsere Backline und schon ist es wieder 1 Uhr morgens. Danach versuchen wir zu entspannen, reden ...

Tourmanager: ... feiern, trinken ... haha ...

Tommaso: Genau ... aber auch nicht immer. Manchmal ist man dazu einfach zu müde, es gibt eben solche und solche Abende. Der Tourbus ist unser Wohnzimmer, unser Zuhause auf Tour. Deswegen ist es auch wahnsinnig wichtig, ein gutes Verhältnis zu den anderen Bands und der Crew zu haben. Bei uns war das bis jetzt super. Der Abend nach dem Gig ist eigentlich die Zeit am Tag, in der du ein bisschen Abstand gewinnst, dich mit den anderen über deine Projekte und Ideen, deine Familie und Zuhause austauschst.

Klingt ja sehr harmonisch. Wie war es denn bisher, mit KATAKLYSM und KRISIUN „on the road" zu sein?

Großartig! KATAKLYSM sind für uns mittlerweile schon fast wie Brüder, weil wir vorher schon zusammen unterwegs waren. Unser Verhältnis ist wirklich eng. Es macht mich glücklich, dass ich über diese Tour sagen kann, dass alle sehr „normal" sind, haha ... das mögen wir. Denn was die Jungs von KRISIUN angeht: ich wusste schon, dass sie extrem entspannt und cool drauf sind, aber unsere Erwartungen wurden noch übertroffen. Die haben ja wirklich eine sehr lange Bandgeschichte und gehören zu den Bands, die uns inspiriert haben und es ist einfach toll zu sehen, wie wir alle zu einem Team zusammengewachsen sind, in dem jeder jedem hilft. Es ist dadurch eine sehr angenehme Zeit.

Wenn man sich mit allen Bands versteht und der Tourmanager gut ist, kann eine Tour eigentlich nur gut werden. Wenn wir uns, vor allem was diese lange Europatour gerade angeht, in Kleinkriegen bekämpfen würden, wären wir nach 20 Tagen erledigt. Das ist gefährlich.

Euer Mann am Schlagzeug, Francesco Paoli, hat bereits in einem Video gezeigt, wie man Spaghetti á la FLESHGOD APOCALYPSE kocht. Ist er auch der beste Koch in der Band?

Nein, ich würde sagen, er ist wahrscheinlich der schlechteste, hihi ... Er kann Pastagerichte kochen, wie jeder Italiener. Ich bin aber eigentlich derjenige, der am meisten Spaß am Kochen hat. Francesco weiß zwar, wie man Pasta kocht, aber hat nicht wirklich großes Interesse am Kochen. Das hängt aber auch oft mit der familiären Situation zusammen. Er hat einen kleinen Sohn und seine Frau kocht für die ganze Familie, während er in der Zeit Schlagzeug übt, weil sein Kind am Nachmittag schläft.

Bei mir ist das anders, ich lebe alleine und bin eigentlich nie Zuhause, weil meine Freundin sehr weit von meiner Heimatstadt entfernt lebt. Ich koche oft nach unseren Proben, die meist morgens sind, und experimentiere ein bisschen in der Küche herum. Wenn wir uns alle treffen, bin ich es auch oft, der dann für die ganze Gruppe kocht.

Im letzten Jahr wart ihr sage und schreibe zum sechsten Mal auf U.S.-Tour. Einige Bands sagen, dass es oft sehr hart für sie ist, durch die USA zu touren, weil es ein „Draufzahlgeschäft" sei. Wie habt ihr das erlebt? Was sind denn die Unterschiede zu einer Europatour?

Ja, wir haben wirklich viel in einer sehr kurzen Zeitspanne gemacht.
Die Sache ist die, dass du durchaus mit mehr Ausgaben rechnen musst, denn man zahlt natürlich auch den Flug, hat mehr Aufwand durch die Visa und muss den ganzen Transport arrangieren. Dabei hat man zwar auch Hilfe vor Ort, aber das meiste machen die Bands und die Booking Agenturen.

Aber andererseits ist der U.S. Markt einer der weltweit größten und eine Plattform wie diese auszuschließen, halte ich für fatal. Was FLESHGOD APOCALYPSE betrifft, ist es so, dass wir uns auf dem amerikanischen Markt wirklich gut behaupten können und daher ist es sehr wichtig für uns, dort präsent zu sein. Tatsächlich hatten wir schon erste Erfolge in den USA, bevor wir begannen, Europa zu „erobern". Wir haben ein bisschen seitenverkehrt angefangen, was auch damit zusammenhängt, dass wir in den Augen der Amerikaner etwas Exotisches haben.

Manchmal ist diese Faszination umgekehrt bei amerikanischen Bands im europäischen Raum zu beobachten. Wenn man als europäische Band hier tourt, hat man natürlich weniger Ausgaben, aber im Endergebnis sieht man finanziell dann doch keinen wahnsinnig großen Unterschied.

Im August letzten Jahres habt ihr euer aktuelles Album „Labyrinth" veröffentlicht, das nicht nur mich echt umgehauen hat. Hat der Erfolg des Vorgängers „Agony" (2011) euch im Schreib- und Aufnahmeprozess unter Druck gesetzt oder hattet ihr bereits eine Menge Ideen im Kopf, wie Ihr euer musikalisches Schaffen weiterentwickeln wolltet?

Sowohl unser Schreib-, als auch der Aufnahmeprozess sind sehr komplex. Das Tolle ist, dass wir an wirklich jedem kleinsten Detail gemeinsam als Team arbeiten. Wir haben unser persönliches „Equilibrium", jeder kann von Zuhause aus agieren. Unsere beiden Hauptsongwriter sind Francesco Ferrini, unser Pianist, und Francesco Paoli, unser Drummer. Jaja, unser Soundmann heißt auch Francesco – drei von uns sechs heißen Francesco – furchtbar.

Aber zurück zum Thema. Auf der einen Seite ist unser Schreibprozess eine Art „Gedankenstrom", dem wir zu folgen versuchen, zunächst ohne viel darüber nachzudenken, was davor war und was danach kommt. Anders, als diesem Ideenfluss zu folgen, funktioniert Musik für uns nicht. Gleichzeitig darfst du deine Umwelt natürlich nicht völlig ausblenden, denn Inspiration geschieht auch durch die Dinge um dich herum und deine Interaktion damit.

Dazu ist es auch wichtig, die Mechanismen des Marktes zu verstehen, in dem du dich als Band bewegst. Das ist eben die Herausforderung, Ideen zu verfolgen und sich auf sie einzulassen, sie aber gleichzeitig funktionieren lassen. Meist kommt der emotionale Part, nachdem wir uns darüber klar geworden sind, was uns wichtig ist und uns als Band weiter bringt.

Bei den Arbeiten zu „Labyrinth" haben wir viel Zeit und Energie darauf verwendet, der Musik im Vergleich zu „Agony" eine neue Art von Komplexität zu verleihen. Für die Zukunft können wir uns durchaus vorstellen, auch wieder „einfachere" Sachen zu schreiben, aber gerade hat sich unsere Arbeit in diese Richtung entwickelt. In diesem Moment haben wir genau dieses Album gefühlt und können so völlig dahinter stehen. Und unserem Gefühl zu folgen, das haben wir uns auch für die Zukunft vorgenommen.

Du musst als Band einfach versuchen, konstant die gleiche Energie mit deiner Arbeit zu transportieren, wenn auch vielleicht auf verschiedene Art und Weise ... Deswegen machen wir keine Versprechungen für künftige Alben, denn meist ändert sich von Anfang bis Ende noch so viel, dass wir am Ende selbst vom Ergebnis überrascht sind. Die Musik fordert dich einfach heraus und dann musst du ihr folgen. Sie bestimmt deinen nächsten Schritt.

War es auch eine Art Selbstläufer, dass ihr diese Komplexität in Form eines thematischen Konzepts in den Lyrics aufgegriffen habt? Woher kommt die Idee der Verwendung der griechischen Sage um Theseus und das Labyrinth von Knossos?

Jeder von uns hat diese Themen in der Schule im Rahmen einer klassischen Ausbildung gelernt. Wir alle hatten noch die Erinnerung daran und waren jeder auf seine Weise davon fasziniert. Doch der Entschluss, diese Motive für das Konzept des Albums zu verwenden, kam vor allem durch ihre Metaphorik. Daher ist der chronologische Ablauf der Geschichte um das Labyrinth von Knossos im Album zwar nachzuvollziehen, aber wir erzählen eben nicht nur die Sage um Theseus im Labyrinth, sondern versuchen, sie auf unsere Weise zu interpretieren.

Theseus ist der Mensch selbst, der als Held seiner eigenen Geschichte seine tiefsten Ängste überwinden muss. Der Minotaurus steht symbolisch dafür, dass jeder Mensch sich irgendwann diesen Ängsten und der Dunkelheit stellen muss, um damit umgehen zu können. Ohne eine Verbindung zwischen Licht und Dunkelheit ist es unmöglich, das Gleichgewicht zu bewahren. Es gilt eben nicht, den Minotaurus zu töten, sondern ihn zu akzeptieren, zu sehen, dass ein Teil des Minotaurus´ auch in Theseus steckt.

Der weiblichen Figur in der Geschichte, Ariadne, haben wir auch viel Aufmerksamkeit gewidmet. In der damaligen Zeit ging es vor allem um den Kampf zwischen dem Held und seinem Gegner. Doch hier benötigt der Held die Hilfe einer Frau, um zu siegen. Sie ist der Grund, weshalb er sich den Gefahren stellt und sie hilft ihm, aus dem Labyrinth herauszufinden. Ohne sie und ihr Einwirken würde er den Minotaurus töten und selbst zugrunde gehen.

Die zentrale Message ist: Du kannst jeden Kampf gewinnen, aber nicht allein auf dich gestellt. Das Labyrinth steht also für das Leben an sich, in dem man in ständiger Gefahr lebt, sich zu verirren.

In wenigen Tagen steht die Veröffentlichung eures neuen Videos „Pathfinder" an, der Teaser war ja schon sehr vielversprechend. Wie habt ihr neben der Tour denn Zeit gefunden, ein ganzes Video zu produzieren?

Die Frage müsste eher lauten: „Was habt ihr nicht getan, damit dieses Video entstehen konnte?", und die Antwort wäre: Schlafen. Nach der U.S.-Tour mit WINTERSUN waren wir etwa drei Monate Zuhause. Wir haben uns zuerst gefreut, endlich Zeit zum Entspannen zu haben. Aber das ist überhaupt nicht eingetreten, weil wir keine Zeit hatten, neben den Proben – auch von neuem Material, das wir bald in unsere Setlist einbauen wollen – und dem Dreh.

Die Organisation zu diesem Video war schwierig, weil wir mit vier Schauspielern arbeiten mussten und die Handlung im Vergleich zu den anderen Videos sehr komplex ist. Es ist viel näher an einem Kinofilm und so waren auch die Kosten höher. Eine straffe Organisation war wichtig, vor allem weil wir aufgrund der ganzen anderen Arbeiten nur drei Drehtage hatten, nach denen alles im Kasten sein musste. Jedes noch so kleine Detail hatten wir auf Zetteln aufgeschrieben und tagelang vorbereitet. Trotzdem war alles sehr riskant, denn wenn nur kleinste Aspekte nicht wie geplant gelaufen wären, wären wir echt am Arsch gewesen.

Der Dreh fand in Sizilien, etwa 1.000 km von unseren Wohnorten entfernt, statt. Der Aufwand hat sich für uns gelohnt und ich denke, dass das Video den Leuten da draußen genauso gut gefallen wird, wie uns. Letztendlich war dieser Zeitpunkt zwischen zwei Touren auch perfekt, denn jetzt kämen wir wohl lange nicht dazu. Für uns geht es bald nach Mexiko, Costa Rica, Japan, Australien, China ... Es wird also nicht ruhiger.

Jetzt hast du meine nächste Frage, nach euren weiteren Plänen, gleich mit beantwortet. Gönnt Ihr euch da überhaupt noch eine Pause?

Von Anfang an war eigentlich klar, dass nach dem Release 2013 das jetzige Jahr 2014 DAS Jahr für uns wird. Bis September sind wir komplett mit der Promotion von „Labyrinth" beschäftigt, denn im Sommer stehen auch einige Festivalgigs an. Danach bleibt hoffentlich ein wenig Zeit für unsere Familien und ein bisschen Ausspannen, bevor wir weitere Pläne, auch was eine erneute U.S.-Tour angeht, umsetzen.

Magst du noch ein paar Worte an unsere Leser richten?

Ja, klar. Es ist unnötig, zu betonen, dass Bands ohne ihre Fans nicht existieren können. Daher einfach nur: Danke! Hinzufügen würde ich vielleicht noch gerne: Bleibt euch treu! Nur so erreicht man seine Ziele, denn es gibt keine Abkürzung, keine Täuschung ohne Folgen. Versucht, so weit es geht, ihr selbst zu bleiben.

Danke dir für das ausführliche Interview!


Interview Fleshgod