Geschrieben von Sonntag, 05 April 2015 14:05

Kissin' Dynamite - Interview mit Sänger Hannes zu "Megalomania"

Auf ihrem neuen Album „Megalomania“ sind KISSIN‘ DYNAMITE dem Größenwahn verfallen. Wir haben Sänger Hannes bei einem Glas Champagner im sprudelnden Whirlpool zum neusten Album, HELENE FISCHER und seinem Lieblings Pokémon befragt.

Hallo Hannes, wie geht’s dir?

Gut und dir?

Ich kann mich nicht beklagen. Wie läuft die Tour?

Super (mit vollem Mund). Wir haben im Herbst die A-Tour gespielt durch acht europäische Länder. Das war unsere erste Headliner Tour in Europa und echt spannend. Aber es lief sehr gut für uns mit dem Höhepunkt in Stuttgart im ausverkauften LKA mit 1.500 Leuten. Das war ein großer Meilenstein für uns und ein deutlicher Schritt nach vorn. Nach der Tour stand auch sehr schnell der Entschluss fest, erneut auf Tour zu gehen, da die Leute nicht genug zu bekommen schienen. Jetzt sind wir hier und es läuft sehr gut. Ich bin gespannt auf unsere allererste Show in Kiel!

Die nächste Frage erübrigt sich ja dann eigentlich: Wie kommt euer neuestes Album „Megalomania“ an?

Sehr gut! Ich kann auch nur das deuten, was wir auf Tour mitbekommen – und das ist ein deutlicher Anstieg bei den Besucherzahlen. Mit dem Feedback von den Leuten werte ich es mal als ein wohlwollendes "Ja" zu "Megalomania".

Warum habt ihr euch für diesen Titel und das Konzept zu „Megalomania“ entschieden?

Es war schon immer unsere Stärke, groß zu denken. Wir haben uns niemals mit der kleinen Clubshow in Hintertupfingen zufrieden gegeben, sondern streben die großen Bühnen an und wollen so viele Leute wie möglich erreichen. Wir als Band denken groß, und da lag es nahe, das Konzept um „Megalomania“ zu gestalten. Natürlich etwas überzeichnet und immer mit einem Augenzwinkern.
Wir sind größenwahnsinnig, aber nicht persönlich, sondern als Band in unserem Bestreben nach dem Maximum. Da war „Megalomania“ der größte und plakativste Name für die Platte. Und das Konzept hat dies noch unterstrichen. Zudem haben wir die Optik angepasst, weg vom "kleinen Fiesen aus der Gosse" und alles etwas edler.

Musikalisch habt ihr einen großen Schritt von „Money, Sex and Power“ zu „Megalomania“ getan. Was waren eure Überlegungen, nachdem der Zyklus zu MSP durch war und das nächste KISSIN‘ DYNAMITE Kapitel anstand?

Die "Money, Sex and Power Tour" ging zwei Jahre, allerdings nicht am Stück. Anfangs hatten wir unsere Headliner Tour durch Deutschland, anschließend die Europatour mit DRAGONFORCE ... die wirklich riesig war, mit 40 Terminen im Herbst. Im Januar 2013 waren wir in Japan, dort haben wir sehr viel erlebt, was auch wichtig war für die Entstehung von „Megalomania“.

Gerade mit Asien verbinden wir – klingt dämlich – eine spirituelle Reise, weil wir uns zum ersten Mal aus der Vogelperspektive gesehen haben: Du reist auf einen Kontinent, von dem du bisher nur gehört hast, und hast aus Erzählungen eine grobe Ahnung, wie die Leute da so ticken. Dann stehst du plötzlich selbst in Tokyo auf der Straße und hörst Leute deinen Namen rufen. Was im ersten Moment ziemlich schwer zu begreifen ist. Dann denkt man auch völlig anders darüber nach, was man erreicht hat in seiner Heimat. Man ist mal so richtig ausgeklinkt und schaut sich das ganze von oben an.

Das war für uns super, weil wir uns a) selbst analysieren konnten und b) auf einmal wussten, dass alles im Gesamtkontext gepasst hat. Es hat sich herauskristallisiert, wo wir hinwollen. Die vielen Einflüsse, die wir in Japan und auf der ganzen Europatour mitgenommen haben, haben wir nur vom Vibe ins Songwriting und ins Konzept zu „Megalomania“ einfließen lassen. Die Songs selbst haben wir nicht auf Tour geschrieben, das haben wir noch nie gemacht. Das ist kein KISSIN‘ DYNAMITE Rezept, die entstehen wirklich im Studio.

Ja, da hat jede Band ihr eigenes Erfolgsrezept. Was war eure bisher größte Herausforderung?

Ich denke, dieses Album zu schreiben und zu produzieren. Es war ein mutiger Schritt, in einer konservativen Branche wie dem Heavy Metal etwas Neues zu wagen. Das haben schon viele versucht und viele sind damit gescheitert. Wir wollten es aber machen, auch um uns in 20 Jahren nicht vorwerfen zu können „Ach, hätten wir es mal versucht“. Also mussten wir das umsetzen, aber wir wollten es gut umsetzen und diese Herausforderung, die Stile zu verbinden, um daraus wirklich etwas Neues und etwas Geiles zu machen, war glaube ich das Entscheidende. Wir haben über den Tellerrand hinausgeschaut. Mit ungewöhnlicheren Sounds experimentieren, größer angelegt, mit Synthieeffekten. Das hat uns auch weit nach vorne gebracht.

Wie würdest du „Größenwahn“ definieren?

Wie eben schon gesagt, ich mache da einen Unterschied. Wir sind persönlich nicht größenwahnsinnig, sondern als Band hinsichtlich unserer gesetzten Ziele. Wir pflegen auch engen Kontakt zu unseren Fans, kommen nach Shows auch zum Merchandise für Gespräche und Autogramme. Den Größenwahn auf unsere Gruppe würde ich als verschworenes Wolfsrudel, das nach den Sternen greift, beschreiben. Das bedeutet für mich nicht grundsätzlich Überheblichkeit und Berufsblindheit. Aber wenn man das auf die persönliche Ebene reflektiert, ist Größenwahn etwas Negatives. Wenn jemand Wahnvorstellungen hat, also vor lauter „Ich will alles!“ nicht mehr sieht, worum es geht und den Faden verliert. Aber wie gesagt, das sind wir ja nicht.

Da ich hier weder einen Whirlpool, noch leicht bekleidete Frauen, Kokain oder Champagner ausmachen kann, sehe ich das auch so.
Hat eigentlich schon jemand das „Ticket to Paradise“ gefunden?

Ja, sogar in der ersten Woche. Haschi nennen wir ihn, und er ist mittlerweile ein sehr guter Freund der Band. Ich weiß gar nicht seinen richtigen Namen. Ich kenne ihn nur als Haschi. Er war auf der Herbsttour auf sieben Dates, er hätte theoretisch auf jeder Show als VIP kommen können. Er war immer dabei, war beim Soundcheck und hat uns geholfen, obwohl er gar nicht musste. Er war da und wir haben eine coole Zeit miteinander verbracht. Wir hegen mittlerweile immer noch Kontakt. Gestern und vorgestern war er auch wieder da und hat mit uns noch im Hotel gefeiert. Ein sehr netter, entspannter Typ und wir sind sehr froh, dass er das Ticket gefunden hat. Es gibt ja doch schon aufdringliche Fans, aber er ist eher ein lockerer Kumpel.

Wie sieht dein eigenes Paradies aus?

Ich bin da eher bescheiden. Ich möchte zufrieden und gesund sein und mir keine Sorgen um wirklich schlimme Dinge machen müssen. Solange ich von der Musik leben kann und keine Existenzängste habe, bin ich zufrieden. Ich kann meinen Traum auf Tour und mit der Band leben. Das ist für mich das Paradies auf Erden.

In die Hölle kommen die bösen Metaller ja sowieso, als VIP verbringt man sein Leben nach dem Tod stilvoll. Was erwartet einen wohl als VIP in der Hölle? Ein goldener Dreizack? Vorzug beim Foltern oder darf ich mir aussuchen, ob ich mit Justin Bieber, Helene Fischer oder Michael Wendler gefoltert werde?

Das ist natürlich erstmal ein schönes Bild. Ich muss zuvor etwas zu Entstehung des Songs sagen: Ich fuhr mit dem Auto durch eine Stadt in Süddeutschland, Reutlingen um genau zu sein. Ich sah eine Reklame von irgendeinem Magazin mit drei Partychicks abgebildet. Die Headline war „Wenn wir schon in die Hölle kommen, dann mit VIP Bändchen und Freigetränk“, und ich fand das so geil und plakativ. Sofort schoss mir der Gedanke „VIP in Hell“ in den Kopf. Das hat mich nicht mehr losgelassen und ich bin Heim gefahren – viel zu schnell – und habe gleich angefangen, da eine Melodie zu finden.

Es war also gar nicht die Überlegung, wie so etwas aussieht, sondern viel mehr diese Zeile „VIP in Hell“. Du bist zwar in der Hölle, aber du bist etwas Besseres. Das finde ich ein sehr geiles und starkes Bild. Wenn es so etwas wie eine Hölle gibt, hoffe ich natürlich nicht, dass ich oder irgendjemand und sowieso kein Metaller – die sollen alle in den Himmel kommen – dort landet. Wir sind doch alle gleich.

Du befindest dich im letzten Semester deines Musikstudiums. Sieht man die Musikwelt mit einem Musikstudium völlig anders? Kannst du überhaupt noch "einfach nur" Musik hören?

Man sieht es tatsächlich etwas differenzierter. Am Anfang gab’s für mich wirklich nur „Ich bin Rockmusiker. Ich höre nur Rockmusik. Ich mache nur Rockmusik und nichts anderes!“. Heute finde ich es sehr schade, dass ich so gedacht habe, weil es viele geile Stilistiken gibt. Ich höre mir auch gerne ein Jazzstück an und schreibe auch selber als Songwriter deutlich poplastigerere Musik. Das ist schon ein Einfluss, den ich mitgenommen habe von der Popakademie. Einfach seinen Horizont zu öffnen und weiter zu sehen.

Ist es denn üblich, dass man anschließend als Musiker auf der Bühne steht oder doch eher im Hintergrund agiert?

Ich brauche beides, ich will beides. Ich habe in der Pause zwischen den Touren geschrieben und war nur im Studio. Ich habe für andere Künstler produziert und das macht mir super viel Spaß, aber nur das will ich auch nicht. Es ist der Ausgleich, als aktiver agierender Künstler auf der Bühne zu sein und Songwriter und Produzent hinter den Kulissen. Das ist ein spannendes Package und der Ausgleich macht es.

Für wen würdest du auf keinen Fall einen Song schreiben?

Du willst jetzt Helene Fischer hören ...

… oder nur ein Genre.

Aber selbst das wäre gelogen, ich würde sogar für Helene Fischer einen Song schreiben. Naja, es ist als Songwriter schon so, dass du versuchst, so flächendeckend wie möglich zu schreiben. Ich habe kein Problem mit Schlager, echt nicht. Ich hätte ein Problem, sobald es politisch fragwürdig wird, ob rechts oder links, das würde ich nicht machen. Sobald das nicht der Fall ist, könnte ich mich wohl mit jeder Musik anfreunden. Das heißt aber nicht, dass ich die Musik genau so machen würde, wie sie im Vorfeld geklungen hat.

Wie waren die Hansetage in Lübeck? Du durftest vor dem Holstentor mit dem Orchester Rocksongs performen.

Sehr, sehr schön, eine wundervolle Erfahrung. Lübeck ist bei mir auf die Nummer eins der schönsten Städte Deutschlands gestiegen. So mittelalterlich und gut erhalten und nicht zerbombt. Direkt vor dem Holstentor mit 20.000 Leuten und großem Brimborium. Empfang des Bundespräsidenten, Absperrungen, SEK Einsatz, roter Teppich. Selbst wir Musiker wurden gefilzt, ob wir irgendwas dabei haben. Aber ich fand es spannend, es war eine schöne Zeit und es waren schöne Konzerte in einer entspannten Atmosphäre. Ich habe es sehr genossen.

Was macht das Rock/Metal meets Classic Konzept so interessant?

Es sind erst mal die Songs, die jeder kennt. Wenn du ein riesiges Orchester mit Noname-Bands präsentieren würdest, würde keiner hingehen. Es sind diese Welthits „Africa“ von TOTO, aktuell sind es STATUS QUO Hits, was dieses typische Radiopublikum so anspricht. Im Radio läuft heute immer noch hauptsächlich 80er und 90er Musik. Die jeder kennt, die man sich gerne wieder zu Gemüte führt, die aber auch wertiger ist. Da kommen das Orchester und das Edle ins Spiel. Das macht es zu einem Familienereignis und nicht zu einem Nostalgieflash, sich die Band nochmal ansehen zu müssen. Da passiert etwas Schönes, etwas Großes und das will ich mir anschauen. Umgarnt von den Welthits, die im Vordergrund stehen.

Kannst du dir KISSIN‘ DYNAMITE meets Classic vorstellen?

Auf jeden Fall. Im Moment sind wir dafür wohl noch zu unbedeutend. Wir machen im Moment 300 Mann Clubs voll, das reicht noch nicht, um mit einem Orchester die Schleyer Halle in Stuttgart voll zu bekommen.

Mit „Hair Force One“ hattet ihr eure eigene kleine Sendung im Fernsehen. Könntet ihr euch vorstellen, erneut mit einem eigenen Format ins Fernsehen zu gehen?

Könnte ich mir vorstellen, aber nicht in nächster Zeit, weil wir da keine Zeit für haben. Man muss dazu sagen, dass I Music One selbstverschuldet pleite ging und wir haben den Stecker gezogen. Wir wollten auch nicht für den sterbenden Sender den Deppen machen und quasi in Leistung gehen, ohne auch etwas dafür zu bekommen. "Hair Force One" als Format war unsere Idee und gehört uns, und wenn ein Sender Interesse daran hat, kann ich mir das durchaus vorstellen.

Ich stolpere immer wieder über den guten Vito von JBO, auch im aktuellen Booklet und in einigen Interviews von dir, aber nun erzähl mal. Wie hat er dich und deine Musik beeinflusst?

Vito ist erst einmal ein guter Kumpel geworden und ein super netter Kerl. Weil du eben Hair Force erwähnt hast, unsere allererste Pilotsendung habe ich mit Vito gemacht. Ich habe ihn gefragt, denn wir brauchten einen prominenten Stargast, aber das Format existierte ja noch nicht. Wir konnten keinen an Land ziehen und hatten kein Budget. Wir brauchten also jemanden, der bekannt und lustig ist und uns einen Gefallen tun kann. Und das war Vito. Das rechne ich ihm immer noch hoch an, denn später waren Leute wie SLASH bei uns in der Sendung. Er hat uns auch bei unserer Stuttgart Show unterstützt und genau so gilt das auch umgekehrt. Wenn Vito uns mal braucht, sind wir auch zur Stelle. Es begann damit, das wir JBO supportet haben und da hat sich eine gute Freundschaft entwickelt. Wir haben die Nummern ausgetauscht blieben in Kontakt. Jetzt ist das eine Musikerfreundschaft.

Eine Frage, die überhaupt nichts mit Musik zu tun hat, genehmige ich mir, da du auch zur jüngeren Generation gehörst: Welches ist dein Lieblings Pokémon?

Mein Lieblings Pokémon ... (überlegt sehr bedacht und lange). Es ist definitiv eines der ganz alten. Ich war immer ein ziemlicher Schiggyfan und bleibe dabei. Das ist jetzt sicher nicht die weltbewegendste Wahl.

Letzte Worte, bevor es zum Essen geht?

Wer uns noch nicht kennt, sollte das ändern und reinhören oder uns live aufsuchen, wir sind schließlich wieder auf Tour bis Ende April. Werdet infiziert vom KISSIN‘ DYNAMITE Virus.!

Cengiz

Seit 2012 bin ich mit Kamera und offenem Ohr für BurnYourEars unterwegs.

Mein musikalischer Horizont kennt keine Grenzen: Von synthlastigem Metal über Rap bis hin zu Screamo – Hauptsache, es groovt und hat Tiefgang.

Live-Konzerte sind meine Passion. Zahllose Gigs und Festivals später bin ich immer noch süchtig nach der Energie, die nur Live-Performances entfachen können. Denn egal wie brillant eine Platte klingt, erst auf der Bühne zeigt sich die wahre Magie einer Band.

Meine All-Time-Favourites? Machine Head, Heaven Shall Burn und Parkway Drive (bis "Reverence"). Aber meine Playlist ist so vielfältig wie ein Festivalprogramm – von Crossfaith bis Lamb of God ist alles dabei.

Wer einen Blick auf meine fotografische Reise durch die Musikwelt werfen möchte: Mein Portfolio mit Konzertbildern seit 2012 findet ihr auf fotocengiz.de.