Geschrieben von Dienstag, 11 Mai 2010 00:00

Friction Fest 2010 - Der Festivalbericht


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Mit dem Friction Fest sollte die Hauptstadt endlich ein großes, musikalisch interessantes Festival abseits des Mainstreams bekommen. Anstatt die Besucher zwei Tage lang nur mit Metal zu beschallen, sollten Spannungen und Reibungen (engl. friction) zwischen den Genres entstehen und das Festival somit zu einer Offenbarung für Musikliebhaber werden lassen – was zweifellos gelungen ist.


Wie ein Schneekönig habe ich mich auf das Friction Fest gefreut! Tolle Bands, das Festivalgelände quasi vor der Haustür... was sollte da schiefgehen?

Diese Frage konnte ich mir am Freitagnachmittag, kurz nach Beginn des Festivals, selbst beantworten. Um 17 Uhr hält sich gerade mal eine zweistellige Zahl Besucher auf dem Festivalgelände auf. Selbiges ist das ehemalige Reichsbahnausbesserungswerksgelände (RAW-Tempel) an der Warschauer Straße. Im großen Astra Kulturhaus befindet sich Bühne Nummer eins, im kleinen Cassiopeia nebenan Bühne Nummer zwei – so war zumindest der Plan, bis vor ein paar Wochen der Betreiber des Cassiopeia Muffensausen bekommen und abgesagt hat. Nach der Absage von CYNIC die zweite schlechte Nachricht für den Veranstalter innerhalb weniger Wochen.
Kurzerhand wurde die kleine Bühne ins Foyer des Astra verlegt und somit das gesamte Festivalgeschehen auf einen Club plus Biergarten und Außenbereich konzentriert, was den Veranstalter dazu veranlasste, das freie Verlassen und Wiederbetreten des Geländes auf ein Mal am Tag zu beschränken. Das hört sich schlimmer an, als es war – dank großartiger Bands und gutem Catering gab es gar keinen Grund, das Gelände zu verlassen. Außerdem hatte die Bühnenverlegung einen guten Nebeneffekt: Das Programm konnte überschneidungsfrei stattfinden und niemand musste etwas verpassen. Auch dadurch war gesichert, dass niemand mehr das Gelände verließ, wenn er einmal drin war.

Freitag, 7. Mai 2010

...wenn er einmal drin war! Freitags um 17 Uhr sah es noch nicht so aus, als ob viele Leute kommen würden. So kam es, dass die großartigen HACRIDE aus Frankreich im großen Saal vor ca. 40 Leuten spielen mussten. Schade, denn der ausladende Progressive Metal der vier Männer war sehr interessant und hätte das wenige Publikum auch locker doppelt so lang begeistert. Doch wer zehnminütige Songs schreibt, muss bei einem Festival eben schon nach drei Nummern von der Bühne.

DER WEG EINER FREIHEIT und CHÂTEAU LAUT zogen anschließend auf der kleinen Bühne schon etwas mehr Aufmerksamkeit auf sich und wurden mit verdientem, aber leicht verhaltenem Applaus bedacht. Die interessante Wirkung der ständigen Genrewechsel war, dass zu keiner Zeit die Konzentration der Zuschauer nachließ. Eine tolle Erfahrung, die das Erlebnis der Musik ungleich intensiver gegenüber „gewöhnlichen“ Festivals machte.

Auf der großen Bühne indes sorgten MASTER MUSICIANS OF BUKKAKE für offene Münder. So ganz wurde zwar nicht klar, was die sieben Hutträger da eigentlich machten, aber ihr spaciger Westcoast-Oriental-Ambient-Drone-Sound ließ die bizarren Figuren sich bei jedem tief ins Gedächtnis eingraben. Großes Kopfkino.

Gewaltige Soundlandschaften vermochten auch die im Underground legendären WOLVES IN THE THRONE ROOM zu produzieren. Zwei Gitarren, Schlagzeug, ein paar Synthies und Dunkelheit auf der Bühne sind alles, was es für eine beeindruckende Black-Metal-Show braucht.

Dass es auch mit noch weniger geht, bewies anschließend MONOTEKKTONI dem beeindruckten Publikum. Mit einem Keyboard, ein paar Effektgeräten und Drumcomputer knallte die kleine Ein-Frau-Show den Leuten rasende, verzerrte, abgefahrene Elektro-Punk-Beats um die Ohren. Das passte so wenig in den Rahmen, wie es im Gegenteil musikalisch grandios war.

Anschließend kamen die großen Namen, wegen derer wahrscheinlich der Großteil der mittlerweile auf ein paar hundert vervielfachten Besucher überhaupt hier waren: THE OCEAN spielten ihre erste große Berlin-Show mit dem neuen Sänger Loïc Rossetti. Der Mann ist ein guter und ungeheuer vielseitiger Sänger, doch muss er erst noch lernen, eine Rampensau zu werden. Die große Show übernahmen wie gewöhnlich bei THE OCEAN die Gitarristen sowie die spezielle Lichtshow. Höhepunkte fehlten zwar irgendwie, doch wurde wieder mal eins klar: Diese Band enttäuscht nie.

ENTOMBED brauchten anschließend etwas länger für den Soundcheck – Gitarrist Alex Hellid hatte Probleme mit den Amps. Danach ging’s jedoch schnell los, ohne Intro oder Trara, direkt auf die Fresse. In all den musikalischen Obskuritäten dieses Festivals waren ENTOMBED wahrscheinlich die konservativsten, simpelsten Spinner. Doch wen kümmert das, wenn sie eine derart gute und leidenschaftliche Show spielen? Eben. Verdiente Headliner des Freitagabends und ein toller Abschluss für diesen Tag. Von BOHREN & DER CLUB OF GORE hab ich nichts mehr mitbekommen, weil ich schon so begeistert (und müde) war.


Sonnabend, 8. Mai 2010


Gegenüber dem breit gefächerten Vortag nahm sich der Sonnabend etwas ruhiger und gleichförmiger aus. Viel Post Rock, viel Indie und instrumentale Musik kennzeichneten den zweiten Festivaltag. Die Höhepunkte waren diesmal vor allem auf der großen Bühne zu finden, während die Bands auf der kleinen Bühne zwar keineswegs schlecht oder langweilig, doch aber mit einem gewissen Lückenfüller-Charakter versehen waren.

Das erste große Ausrufungszeichen setzten LONG DISTANCE CALLING. Die weitläufige Soundwand der Band nahm im Nu den ganzen Saal gefangen und drillte ihre märchenhaften Melodien tief in die Köpfe der Anwesenden. Nicht begeistert zu sein war quasi unmöglich.

Danach kam es aber noch besser: CRIPPLED BLACK PHOENIX aus dem Vereinigten Königreich hüllten das Publikum in seidenzarte Gewänder aus filigranem Ambient Post Rock mit Singer-Songwriter-Anleihen. Auch ohne große Bewegung oder ausgeflippte Lichteffekte nahmen die acht Musiker von der ersten Sekunde an jeden Zuschauer gefangen. Sogar ein Mitsingspiel passte in die vielfältigen Klänge der Briten, was zunächst zaghaft, dann jedoch begeistert vom Publikum aufgenommen wurde.

LEECH auf der kleinen Bühne erschienen anschließend wie die kleinen Brüder von LONG DISTANCE CALLING. Musikalisch in direkter Nachbarschaft beheimatet, gab es viel verdienten Applaus für die intensive Show.

Der absolute Höhepunkt des Sonnabends und die nicht mehr für möglich gehaltene Steigerung nach LDC und CBP war dann die Darbietung von ÓLAFUR ARNALDS. Der schüchterne Isländer bat zunächst alle Anwesenden im Saal, sich hinzusetzen, was tatsächlich alle befolgten! Es entstand eine andächtige, geradezu gespenstische Nähe zum Künstler auf der Bühne, der mit seinen minimalistischen Electronica-Soundscapes, unterstützt von einem Streichquartett, reihenweise Gänsehaut und im Anschluss gewaltige Begeisterungsstürme auslöste. Fantastisch!

Bejubelt wurden auch TEPHRA auf der kleinen Bühne – obgleich Sänger Ercüment an keiner Stelle das Raums auch nur ansatzweise zu hören war. Doch wer TEPHRA kennt, weiß, dass sein Geschrei eher nebensächlicher Natur ist und der eigentliche Fokus auf den tonnenschweren Riffs liegt. Entsprechend brachial und adrenalinhaltig war die Show.

THE BLACK HEART PROCESSION auf der großen Bühne leiteten das Ende dieses ersten Friction Fests ein. Nach ÓLAFUR ARNALDS war es nicht mehr möglich, dem Festival einen weiteren Höhepunkt aufzusetzen; dazu war die staubtrockene Show der vier Kalifornier auch etwas zu routiniert. Der chillige Wüstenrock wurde mit zwei langsamen Stücken eingeleitet, die Sänger Pall Jenkins mit der singenden Säge untermalte. Verdienter Applaus, doch machten sich während dessen schon die ersten Besucher auf den Heimweg.


Zum Festivalumfeld


Das Festivalgelände bestand (wie oben bereits beschrieben) aus dem Astra Kulturhaus plus zugehörigem Biergarten und einem weiteren Außenbereich, der sonst Parkplatz und Wirtschaftszone ist. In den großen Saal des Astra passen nach eigener Schätzung ca. 1.500 dicke oder 2.000 dünne Menschen, dazu kommt ein großes Foyer mit Barbereich und Garderobe, mehrere großzügige Toiletten und besagte Außenbereiche.

Getränke wurden an der Bar und außen im Biergarten ausgeschenkt. Die Preise waren feste, berlinübliche Clubpreise: 3 Euro für ein 0,4-Liter-Glas Astra-Bier, 2,50 Euro für eine 0,3-Liter-Flasche Carlsberg und ähnlich bei Softdrinks, Club-Mate, Kaffee, Tee und so weiter.
Das Speisenangebot war auf den ersten Blick etwas dürftig: Lediglich zwei Stände sollten alle Besucher versorgen. Wer dabei Vielfalt erwartete, wurde zunächst herb enttäuscht – Stand Nummer eins verkaufte Kuchen und zwei wechselnde vegane (!) Gerichte. Stand Nummer zwei verkaufte ausschließlich Bratwurst (passenderweise stand auf dem Schild „Wurst [aus Tier]“). Bei näherer Betrachtung erwies sich diese scheinbare Mangelversorgung aber als äußerst zufriedenstellend, denn – wer hätte das gedacht – die veganen Gerichte (u.a. Cowboy Stew und Thai Curry) versetzten selbst gestandene Fleischfresser in höchstes Entzücken! Wahnsinnig lecker. Und wer trotzdem Fleisch haben wollte, konnte ja Bratwurst essen.

Das gesamte Personal erwies sich als sehr entspannt und freundlich. Einen gestressten Eindruck hat niemand gemacht, was aber auch an der dünnen Besucherzahl liegen kann. Allen voran müssen die Leute von der Security und das Einlasspersonal positiv erwähnt werden – stets freundlich und zuvorkommend, offen für Smalltalk und ohne unnötige Authoritätsticks. Großes Lob hierfür.

Fazit

Allgemein hat sich der anfangs schlechte Eindruck, der durch die Auslassbegrenzung und die äußeren Umstände hervorgerufen wurde, schnell ins Gegenteil verkehrt. Kein einziger der Besucher hat ein enttäuschtes Gesicht gezogen oder ein schlechtes Wort verloren. Jede der Bands wurde mit viel Applaus und andächtiger Aufmerksamkeit bedacht.
Viele positive Kommentare und Rückmeldungen, Lob und Danksagungen konnte man schon am Sonntag nach dem Festival auf den einschlägigen Internetplattformen lesen. Alle zeigten sich begeistert von der tollen Amosphäre, dem netten Personal und der unglaublich hohen musikalischen Qualität.

Wenn es nicht so dünn besucht gewesen wäre – ca. 500 Besucher sind einfach zu wenig – hätte das erste Friction Fest als durchschlagender Erfolg verbucht werden können. Ich hoffe ganz fest, dass die Verluste für den Veranstalter nicht allzu hoch ausfallen, sodass im nächsten Jahr wieder ein Friction Fest die Festivallandschaft bereichern kann. Dann vielleicht in leicht verändertem Rahmen; meine Empfehlung wäre, das Festival auf einen Tag zu verkürzen und die Kartenpreise bei maximal 35 Euro zu halten. Das Friction Fest hat ein viel zu großes Potenzial, als dass es aus schnödem finanziellen Misserfolg nach dem ersten Versuch wieder eingestellt werden darf.

Fotos (c) BurnYourEars / Fabien Blackwater

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