Geschrieben von Mittwoch, 13 Mai 2009 21:57

Long Distance Calling & Arktika - Münster / Gleis 22


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25.04.09 - Die frühabendliche Radfahrt durch die lauwarme münsteraner Luft zur Record-Release-Party der Instrumentalrock-Aufsteiger LONG DISTANCE CALLING kam mir verdammt kurz vor. Jetzt könnte ich ja behaupten, dass es an meiner Vorfreude lag, die durch das eineinhalb Stunden zuvor mit zwei Fünfteln der Band geführte Interview noch gesteigert worden war. Stimmt sicherlich. Vor allem lag es aber wohl an der lachhaft kurzen Strecke - das beschauliche Münster hat wirklich seine Vorzüge!

Kommen wir zur Sache: Bevor die Hauptpersonen des Abends die Bühne des Gleis 22 betraten um ihr neues Album „Avoid The Light" vorzustellen, präsentierte die Vorband ARKTIKA knapp 20 Minuten lang einige ihrer Postrock-Werke. Ich hörte mir ungefähr sechs Minuten des weitgehend instrumentalen Laut/Leise (respektive Wut/Depression-) Wechselspiels mit spärlichen Schrei-Attacken an und kam zu dem Schluss, dass die Musik mir eher wenig sagte. Für Genre-Freunde mochte das aber sicherlich interessant sein und der Zuspruch des Publikums war für eine Vorband wirklich gut. Bemerkenswert war noch, dass ich in diesen sechs Minuten weder Anfang noch Ende eines Liedes mitbekam und somit von überdurchschnittlichen Song-Längen ausgehe, die vielleicht auch einfach etwas mehr Geduld erfordern als ich an diesem Abend aufbrachte.

Die halbstündige Pause nutzten wir mit einigen Freunden zum Schwätzchen an der frischen Luft, sicherten uns aber rechtzeitig für LONG DISTANCE CALLING gute Plätze in den vorderen Reihen des sehr gut gefüllten, aber wohl nicht ganz ausverkauften Gleis 22. Wie sich zeigte, hatten wir das ganz richtig gemacht. Von Beginn an hätte ich mich tierisch geärgert, wenn ich hinten gewesen wäre, denn mit ein bisschen Fußwippen wie bei so vielen Postrock-Bands ist es bei dieser Band nicht getan. Songs wie „Jungfernflug" vom alten Album „Satellite Bay" waren dem Publikum schon bekannt und wurden bereits bei der Ankündigung mit Geschrei begrüßt. Auch die beiden Songs von der fantastischen Split-EP mit den befreundeten LEECH aus der Schweiz kamen hervorragend an. „Red Bug vs. Black Bird" war mit seinem einleitenden Prog-Groove und der bösen Steigerung ein Garant für Abwechslung, und „Metulsky Curse Revisited", für mich ein Höhepunkt des Sets, brachte manchen zum Moshen, so dass Flo, einer der beiden Gitarristen, nicht als einziger ordentlich abging.
Das war ja auch bei diesen Songs nicht sonderlich anders zu erwarten, denn schließlich lassen sich ja gerade bei Record-Release-Shows vor allem eingefleischte Fans blicken, die bei dem bekannten Material sowieso abgehen. Spannender waren also die Reaktionen auf die neuen Songs, die überhaupt nicht verhalten ausfielen. Schon der Opener „Sundown Highway" kam gut an, „Black Paper Plane", „359" und „Apparitions" und gerade auch das erst kurz vor dem Gang ins Aufnahmestudio geschriebene bzw. zusammengejammte "I Know You, Stanley Milgram" standen dem in nichts nach. Wie die Band vor dem Konzert im BurnYourEars-Interview angekündigt hatte, war das neue Zeug tatsächlich tendentiell noch dynamischer und rockiger als die alten Sachen, die sich auch schon wohltuend vom Postrock-Einerlei abhoben.

Überhaupt: „Postrock". Wie klein dieser Begriff wirkt! Wo anderswo achtminütige Langeweile zelebriert wird, bauen diese fünf Jungs immer wieder - und vor allem auch immer wieder anders - Spannung auf. Die Riffs sind knalliger, die Breaks härter, die psychedelischen Einflüsse intensiver, die Ambient-Sounds geschmackvoller, die Steigerungen epischer, die Songs insgesamt dynamischer.

Zum Glück stimmte an diesem Abend auch der Sound. So waren die beiden Gitarren von Dave Jordan und Florian „Flo" Füntmann so klar unterscheidbar herauszuhören wie auf Platte und Bassist Jan Hoffmann und Drummer Janosch Rathmer konnten weit über das prominente Zusammenspiel bei „Red Bug vs. Black Bird" hinaus groovige Akzente setzen. Ambient-Experte Reimut van Bonn konnte auch live seinen Weg gehen: Stimmungen schaffen, Kitsch vermeiden. Eine Herangehensweise, die offenbar alle fünf, aus so unterschiedlichen musikalischen Ecken sie auch kommen mögen, verinnerlicht haben.

Im Laufe der Show wurde immer offensichtlicher, dass die Band über die lautstarke, teils euphorische Reaktion des Publikums auf die neuen Lieder fast schon verwundert war. Das wiederholte „Münster, ihr seid die Größten!" klang sogar etwas ungläubig! Die gute Stimmung übertrug sich auch auf die Band, die mit unübersehbarer Spielfreude zur Sache ging, egal ob gerade ein psychedelischer oder ein vom Metal inspirierter Part gespielt wurde.

Natürlich gab es dann noch eine Zugabe, die aber meiner Meinung nach leider etwas zu ruhig ausfiel. „Metulsky Curse Revisited" wäre ein noch besserer Rausschmeißer gewesen. Aber egal: Es war ein fantastischer Konzertabend mit LONG DISTANCE CALLING, einer Band, die sich in ihrem weit über Postrock hinausgehenden Bereich vor absolut niemandem zu verstecken braucht, sondern selbst den Ton angibt!


Fotos (c) Kirsten Große Gehling / BurnYourEars