Geschrieben von Samstag, 09 April 2016 10:34

My Dying Bride - Grünspan / Hamburg

Zwei Akkorde machen freudige Erwartung zu Begeisterung: MY DYING BRIDE starten mit „Your River“ und also einem echten Kracher in den Abend. Zwei Akkorde, und die Band hat das Hamburger Publikum in der Hand – es folgt eine grandiose Mischung aus alten, teils uralten Kamellen und neuen Stücken ihres sehr guten, aktuellen Albums „Feel The Misery“.

„Your River“ vom 1993er Album „Turn Loose The Swans“ als Opener zu wählen, ist mutig. Aber den Leuten, die das Grünspan an der Großen Freiheit auf Sankt Pauli bis zum letzten Platz ausfüllen, offenbar sehr recht: Applaus und Jubel begleitet das lange, komplexe und schwer verdauliche Stück. Dass auch MY DYING BRIDE noch immer einen guten Draht zur eigenen Vergangenheit haben, zeigen sie direkt im Anschluss: Die britischen Doom Metal-Mitbegründer legen nach mit „From Darkest Skies“, Baujahr 1995. Hier zeigt Sänger Aaron Stainthorpe bereits, dass er hervorragend bei Stimme ist.

Action kann bei den zum Teil ultralangsamen Doom-Songs natürlich niemand erwarten. Die Band agiert statisch: Die Bassistin lässt sich nur manchmal zu etwas Haareschütteln hinreißen, die beiden Gitarristen konzentrieren sich lieber auf ihre perfekt sitzenden, zweistimmigen Melodien, die MY DYING BRIDE so unverwechselbar machen. Den Schlagzeuger sieht man naturgemäß nur eingeschränkt – von den Instrumentalisten zeigt sich der Keyboarder noch am aktivsten, wenn er mit seiner Geige einen Schritt nach vorne macht.

Es ist Sänger Aaron, der im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, obwohl auch er mit vornehm britischer Zurückhaltung agiert. Aber das, was er macht, ist intensiv: In jeder Sekunde wirkt er, als würde das Leid ihn niederdrücken. Er geht in die Knie, fasst sich an Stirn und Kehle, wird vom Elend darniedergeworfen und schafft es scheinbar kaum rechtzeitig, sich für die nächste Strophe wieder aufzurappeln. Manchmal steht er nur reglos mit verschränkten Armen auf der Bühne und starrt das Publikum an, während seine Band um ihn herum ein Death-Metal-Gewitter losbrechen lässt. Zwischendurch ein kurzes „thank you“ oder ein selbstironischer Spruch über sein Alter, mehr wird kaum gesprochen. Sein Look – Spitzbart, raspelkurze Haare, schwarze Hose, weißes Hemd – passt hervorragend zum Ernst, den er ausstrahlt. Eine reduzierte und dadurch starke Performance!

Nach dem Einstieg mit zwei Klassikern fügt sich der Opener des 2015er Albums, „And My Father Left Forever“, sehr gut ein, genauso wie der großartig gesungene Titeltrack „Feel The Misery“ und das zum Teil ultraharte „To Shiver In Empty Halls“ – auch ich erschauere, weil Stainthorpe ultrabrutale Growls rauslässt, während er wie so oft auf die Knie fällt. Fans der ersten Stunde wiederum sind hörbar glücklich, als der Frontmann „Erotic Literature“ ankündigt – hier geht es noch weiter zurück zum 92er Albumdebüt „As The Flower Withers“. Ihre neuere Phase decken die Briten unter anderem mit dem megamelodischen Melancholiebolzen „My Body, A Funeral“ ab.

Die zweite Hälfte des Konzerts ist Material mit deutlich mehr Growls gewidmet: „It is getting nasty“, kündigt der Sänger an. Mag sein, dass er anfangs seine Stimme schonen musste, so oder so liefert er aber hervorragend ab – bis zum Schluss. Den setzt die Band nach „She Is The Dark“, kommt aber für einen Zugabenblock wieder.

Der könnte kaum diverser sein. Auf das sehr langsame, sehr melodische „Like A Perpetual Funeral“ folgt der Titeltrack der 91er EP „Symphonaire Infernus Et Spera Empyrium“ als brutaler, roher Rausschmeißer. Knapp zwei Stunden haben MY DYING BRIDE gespielt und einen unfassbar intensiven Ritt durch nahezu die komplette Diskographie geliefert. Fantastisch!

Die Vorband OCEANS OF SLUMBER habe ich leider verpasst – dummes Zeitmanagement. Ein Besuch am Merch-Stand deutet aber auf zwei Dinge hin. Erstens: Da geht einiges an Platten und Shirts weg, insofern hat es dem Hamburger Publikum wohl gefallen. Zweitens: Hinter mir erzählt einer seinem Kumpel, er sei gerade „mit der Vorband in 'nem Stripclub gewesen“ – OCANS OF SLUMBER hatten also offenbar eine gute Zeit in Hamburg.