Blind Guardian Twilight Orchestra - Legacy Of The Dark Lands Tipp

Blind Guardian Twilight Orchestra - Legacy Of The Dark Lands
    Klassik/Soundtrack mit typischem BLIND GUARDIAN-Flair

    Label: Nuclear Blast
    VÖ: 08.11.2019
    Bewertung:9/10

    BLIND GUARDIAN im Web


Mehr als 20 Jahre hat es gedauert, bis das oft erwähnte Orchesterprojekt von BLIND GUARDIAN konkrete Formen angenommen hat. Doch gut Ding will bekanntlich Weile haben: Unter dem Banner BLIND GUARDIAN TWILIGHT ORCHESTRA veröffentlicht der symphonische Ableger unter der Ägide des Kreativ-Duos Hansi Kürsch und Andre Olbrich endlich das Album "Legacy Of The Dark Lands".

Im Laufe der Zeit mussten Kürsch und Olbrich die ursprüngliche Idee, eine Tolkien-Geschichte als Thema zu verwenden, ad acta legen. Stattdessen haben sich die Krefelder mit Markus Heitz, einem der bekanntesten Fantasy-Autoren Deutschlands, zusammen getan. "Legacy Of The Dark Lands" ist die musikalisch vertonte Weiterführung des kürzlich erschienenen Dark-Fantasy-Romans "Die dunklen Lande", in dem vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges Historisches auf Fantastisches trifft.

Markus Heitz' "Die dunklen Lande": Die Vorlage zum Orchesterprojekt

Kenntnis der Geschichte um Aenlin Kane, die in Begleitung ihrer persischen Freundin Tamina eigentlich nur das Erbe ihres Vaters antreten will, aber plötzlich zusammen mit einem bunt gemischten Haufen einen gefährlichen Auftrag erfüllen muss, bei dem sie auf dämonische Mächte trifft, ist kein unbedingtes Muss, macht das Hörvergnügen und Blättern im großformatigen Earbook aber definitiv kompletter und runder.

Empfehlen möchte ich "Die dunklen Lande" als großartig vorgetragenes Hörbuch, in dem Sprecher Johannes Steck jeder einzelnen Figur eine wie auf den Leib geschneiderte Stimme verpasst. Lest ihr lieber selbst, ist "Legacy Of The Dark Lands" definitiv die passende musikalische Untermalung.

Die Story des Albums lässt sich trotz Mitwirkung des Autors selbst eher als "basiert auf ..." statt "Fortsetzung von ..." beschreiben und reißt Themen und Figuren aus "Die dunklen Lande" an, legt jedoch einen anderen Fokus. Mir persönlich gefällt die Story des Buches besser. Dennoch: Die Geschichte hinter "Legacy Of The Dark Lands" ist wesentlich durchdachter und komplexer, als man es von einem Stück Musik erwarten kann und darf.

Das langerwartete Album des BLIND GUARDIAN-Orchesterprojekts

Musikalisch ist "Legacy Of The Dark Lands" extrem schwer zu fassen. Die Kompositionen und Arrangements sind komplex, enthalten viele Wendungen, aber umso weniger Fixpunkte und bis auf wenige Ausnahmen kaum eingängige Refrains, die ins Ohr gehen. Die überbordenden musikalischen Ideen wirken bei den ersten Durchgängen erschlagend.

Die Erzählparts, gelungen vorgetragen von den von "Nightfall in Middle-Earth" bekannten Sprechern, scheinen die Musik immer wieder zu unterbrechen. Anfangs fand ich das so störend, dass ich mir lieber die Version ohne Erzählparts angehört habe. Das alles mag abschreckend wirken, denn "Legacy Of The Dark Lands" ist eines ganz sicher nicht: leicht verdaulich.

Wer sich hingegen konzentriert auf das Album einlässt, wird mit einem fast 80-minütigen, filmreifen Hörspiel-Soundtrack mit unzähligen Höhepunkten belohnt. Einer davon ist Hansi Kürsch, der über sich hinaus wächst. "Schuld" daran dürften die Aufnahmebedingungen sein, denn der Sänger musste seine Stimme dem Orchester anpassen: In verhaltenen Passagen leise singen, in lauten entsprechend kraftvoll. Es beeindruckt zutiefst und sorgt für eine dicke Gänsehaut, wenn Kürsch sich bei "In The Underworld" in lange nicht gehörte Höhen wagt.

"Legacy Of The Dark Lands" ist bombastisch, ambitioniert, detailverliebt und überbordend episch

Nach jedem weiteren Durchlauf breiten sich BLIND GUARDIAN-typische Melodien wie im epischen "War Feeds War" ein wenig mehr vor dem Hörer aus. Was dabei herauskommt, wenn man "War Of Thrones" in episch und düster mit Auenland-Feeling ("This road goes on forevermore"...) kreuzt, zeigt das wundervoll verspielte "Dark Cloud's Rising" mit einer Vielzahl von verschiedenen Stimmungen. Besonders düster zeigt sich das BLIND GUARDIAN TWILIGHT ORCHESTRA in "In The Underworld", während "The Great Ordeal" und "Point Of No Return" am ehesten klassischen BLIND GUARDIAN-Stoff erzählen – nur eben in Orchester- statt Band-Form.

Die Melodie zu "Harvester Of Souls" wird BLIND GUARDIAN-Anhängern aus "At The Edge Of Time" vom letzten Studioalbum "Beyond The Red Mirror" bekannt vorkommen. Bis zum dramatischen Abschluss "Beyond The Wall" beeindrucken Kompositionen wie "Nephilim" und "This Storm" mit aberwitzig vielen Details, überraschenden Wendungen und Stimmungswechseln. "Legacy Of The Dark Lands" ist so ideen- und abwechlsungsreich, so ambitioniert und detailverliebt, dass die Größe dieses Epos' hier nur angerissen werden kann.

Stellenweise durchwachsene Klangqualität

Die Vocals, die Arrangements, die Leistung des Orchesters und der Chöre, all diese geballte Qualität steht zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion, hat man sich erst einmal in den dunklen Landen zurecht gefunden. Einzig die schwankende Klangqualität verwundert: Wenn laute Percussions, Trommeln und Bläser aufeinander treffen, tritt ein hörbarer Clipping-Effekt auf (z.B. am Ende von "War Feeds War" und "In The Underworld").

Dazu scheint Hansi Kürschs Gesang mit Mikrofonen von wechselnder Qualität aufgenommen worden zu sein, die Vocals klingen stellenweise ziemlich dumpf und matschig. Das ist nicht so schlimm, als dass es den fantastischen Gesamteindruck trüben könnte, passt aber nicht ganz zu den extrem hohen Ansprüchen der Masterminds Kürsch und Olbrich.

Das Warten auf das BLIND GUARDIAN TWILIGHT ORCHESTRA hat sich gelohnt

Hat sich das Warten also gelohnt? Und wie! Wer epische Soundtracks liebt, sich im Herr der Ringe-Kosmos zuhause fühlt und Fantasy-Literatur schätzt, wird sich nur schwer aus dem Bann des BLIND GUARDIAN TWILIGHT ORCHESTRAs befreien können.

Die Zeit und Einarbeitung, die "Legacy Of The Dark Lands" dem Hörer abverlangt, wird mit einem unvergleichlichen Hörerlebnis vergütet, das sehr lange und eindrücklich nachwirkt – am besten in Form des wunderschön designten Earbooks mit dem regulären Album, den Instrumentals und einer Version ohne Hörspiel-Passagen, die allesamt ihre Berechtigung haben.

"Legacy Of The Dark Lands" Trackliste:

01. 1618 Overture
02. The Gathering
03. War Feeds War
04. Comets And Prophecies
05. Dark Clouds Rising
06. The Ritual
07. In The Underworld
08. A Secret Society
09. The Great Ordeal
10. Bez
11. In The Red Dwarf's Tower
12. Into The Battle
13. Treason
14. Between The Realms
15. Point Of No Return
16. The White Horseman
17. Nephilim
18. Trial And Coronation
19. Harvester Of Souls
20. Conquest Is Over
21. This Storm
22. The Great Assault
23. Beyond The Wall
24. A New Beginning