Achtsamkeit in Lederjacke – das ist der Untertitel des Podcasts, den Jana „Solvejg“ Simon und Uwe Lerch betreiben, aber auch ein gutes Bild für die Prämisse, die dem Ratgeber „Amplify Your Life“ zugrundeliegt. Demnach sind Themen wie Selbstfürsorge und mentale Gesundheit nicht nur etwas für filzhaarige Pluderhosengirls, sondern auch für bierbäuchige Altrocker … naja, für den Rock- und Metalfan im Allgemeinen.
Expertise aus Business und Bühne
Die Szene kennen beide Teile des selbsternannten Autoren-„Powerduos“ schon seit Jugendtagen, sie sind leidenschaftliche Musikhörer und Festivalbesucher. Darüber hinaus arbeitet Jana als Mentaltrainerin und Coach, Uwe ist euch möglicherweise als RockHard-Mitgründer, KuschelRock-Kompilator oder aus anderen Medienkontexten bekannt. Gemeinsam bieten die beiden heute Seminare und Team-Events an.
Coaching? Firmenberatung? Diese Signalwörter wären für mich eigentlich eher Anti-Kaufargumente – wie authentisch „metal“ kann solch ein Buch schon sein? Dient es nicht vielleicht ausschließlich als hübsche Referenz in einem mit Businessbegriffen gespickten Linked-In-Profil? Nun, auch für diesbezügliche Skeptiker gibt’s extrem zugkräftige Anreize, doch mal ins Buch zu schauen. Ausschnitte aus über 20 Interviews mit Genregrößen wie Mille Petrozza, Doro Pesch, Hansi Kürsch, Tobias Sammet oder Udo Dirkschneider wurden verarbeitet – und ein Teil der Einnahmen aus Vorbestellungen kommt direkt dem gemeinnützigen Verein Metality e.V. zugute. Alles klar, count me in!
Alltagsnahe Tipps praxistauglich aufbereitet
Das Buch ist angenehm übersichtlich strukturiert: 44 kurze, identisch aufgebaute Kapitel erstrecken sich über drei Hauptteile. Jede Kapitelüberschrift ist ein richtungsweisender Songtitel, der mittels Infokasten in den jeweiligen Bandgeschichte-Kontext eingeordnet wird. Eine sogenannte „Rockstar Roadmap“ – stichwortartige Impulse zum Üben, Vertiefen und Weiterdenken – beendet wiederum jedes Kapitel. Außerdem gibt’s einen QR-Code, der in einen digitalen „Backstage-Bereich“ mit Zusatzmaterialien führt: Tagebuchvorlagen, weiteren Impulsfragen und einer Playlist. So fällt die Orientierung innerhalb des Buches leicht, und wer möchte, kann punktuell vertiefen – top.
Thematisch bietet „Amplify Your Life“ einen ziemlichen Rundumschlag. Weit über die im Untertitel gebuzzwordete Achtsamkeit hinaus geht es im Prinzip um alles, das auf mentale Gesundheit einzahlen kann – Arbeitsorganisation, Freizeitgestaltung, Partnerschaft, Hobbys, Ernährung, Sport … und natürlich kognitive Strukturen und Methoden wie Glaubenssätze, Selbstzweifel, Fokussierung, Entspannung oder Energieverarbeitung. Die immer wieder eingestreuten O-Töne aus dem Lebens- und Schaffensalltag bekannter Rock- und Metalikonen sorgen dabei erfrischend für Auflockerung und illustrieren die (ohnehin schon recht anschauliche) Theorie.
Rock- statt Eso-Kitsch?
Ihr habt’s geahnt, jetzt muss ich doch nochmal auf den Sprachstil zurückkommen, der für meinen Geschmack leider etwas arg bemüht wirkt. Denn das Autorenpaar betont zwar ehrenwerterweise, Achtsamkeit „ganz ohne Esoterik-Kitsch“ vermitteln zu wollen, raspelt stattdessen aber mit der überdimensionalen Pfeffermühle einfach eine Riesenportion Rockmetaphern über den Inhalt. Hier und da mag man über eine passende Analogie schmunzeln, auf Dauer empfinde ich das aber doch als etwas konstruiert. Ja, ich höre Metal. Aber ich „rocke“ nicht mein Frühstück, mein Duschhandtuch ist nicht „schwarz wie meine Seele“, eine Aufgabe ist kein „Riff“ und ich weigere mich, die kommende Lebensphase als „B-Seite des Lebens“ zu bezeichnen. Ist ein typisches Beispiel für ein eskalationspotenzialhaltiges Alltagsstreitthema wirklich die Frage nach der „besten Band aller Zeiten“? Und spätestens beim Vorschlag, zwecks achtsamer Sinnesschärfung auf Wacken ganz bewusst den Geruch der Dixi-Klos wahrzunehmen, kann ich nur hoffen, dass es sich hierbei um einen (möglicherweise einem achtsam gemäßigten Bierchenkonsum geschuldeten) Gag handelt.
Zugegeben: Sinnvolle Impulse
Trotz dieser sprachlichen Überdosis bleibt unterm Strich ein gutes Gefühl. Die Botschaften sind nachvollziehbar, die Impulse hilfreich, und wenn man den potenziellen Widerstand gegen das Dauergerocke einmal überwunden hat, merkt man: Das hat erstaunlich viel mit dem eigenen Alltag zu tun. Sicher wird sich nicht jeder zum unverzüglichen Umsetzen sämtlicher Ratschläge motiviert fühlen, um künftig hardrockplattenhörend, kräuterteeschlürfend als pilatesgeformte Sonnenseele über allem zu schweben, aber so ist es auch nicht gemeint. Vielleicht überdenkt man die ein oder andere Gewohnheit, vielleicht etabliert man hier oder da sogar eine kleine neue Routine – und ob man sich dabei nun als Rockstar fühlt oder einfach nur ein bisschen ausgeschlafener, bleibt ja jedem selbst überlassen.
Last but not least: Das Buch ist (heute absolut nicht selbstverständlich) hervorragend lektoriert und gesetzt, hat eine zweckdienliche Länge, ohne aufgebläht zu wirken, und dank praktischer Klappenbroschur und angenehmer Papierhaptik nimmt man’s gern zur Hand – ausdrückliches Lob an den Verlag!