
Stil (Spielzeit): Progressive Metal, Pagan/Black Metal (58:24)
Label/Vertrieb (VÖ): Indie Recordings (27.09.2010)
Bewertung: 10/10
Link: www.myspace.com/enslaved
Nicht zu Unrecht wurde ENSLAVEDs zehntes Album „Vertebrae“ vom Terrorizer Magazine zum „Album des Jahres 2008“ gekürt. Der Vorgänger von „Axioma Ethica Odini“ begeisterte nicht nur durch Songwriting und Atmosphäre, sondern versprühte unter Fans auch die Aura eines großen Schritts in der Bandentwicklung.
Jetzt, da das Nachfolgealbum erschienen ist, lässt sich feststellen: Alles überholt. - Auch „Axioma Ethica Odini“ ist ein schwer zu verdauender Brocken, dessen Komplexität einen zunächst erschlägt, der zugleich aber von Anfang an mit sphärischen, über den Dingen der Welt schwebenden Elementen zu faszinieren weiß.
Ab dem zehnten Hördurchlauf vermag man den Großteil der Rhythmen und Riffs intuitiv vorherzusagen – durchgestiegen ist man damit aber noch lange nicht. Man sollte dem Album mindestens 25 Umdrehungen gönnen und zwischendurch ab und zu die Vorgänger „Vertebrae“ und „Ruun“ (2006) auflegen, um halbwegs zu erfassen, was in „Axioma Ethica Odini“ vor sich geht.
Der Opener „Ethica Odini“ startet nach kurzem Knisterintro mit geradlinigem Riff und Beat, das – zusammen mit Grutle Kjellsons unverkennbarem Gekrächze – ein typischer ENSLAVED-Moment wie aus dem Buche ist. Komplexe Rhythmuspatterns brechen im Refrain den Fluss, bevor es in den Keyboard-getriebenen Schluss geht. „Ethica Odini“ erinnert stark an „Entroper“ von „Ruun“.
„Raidho“ startet etwas gesetzter und wird vor allem durch Keyboard und Klargesänge in Szene gesetzt, das anschließende „Waruun“ hingegen setzt sich durch betonte Bösartigkeit und abgefahrene Rhythmen deutlich ab.
In „The Beacon“ fallen vor allem die grandiose Melodieführung und das überwältigende Riff im C-Part auf. Dieser Song steht mit seiner beängstigenden Schönheit in einer Reihe mit „The Watcher“ und „Essence“.
„Axioma“ ist ein sehr synthielastiges Instrumental-Interlude, das – wie machen die das nur? – vor dem inneren Auge Bilder von den wolkenverhangenen Fjorden und schneebedeckten Gipfeln Norwegens hervorruft, selbst wenn man diese noch nie mit eigenen Augen gesehen hat. Großes Kopfkino!
Noch besser wird es in „Giants“, einer monumentalen Hymne im typischen ENSLAVED-Stil. Mir fehlen allmählich die Superlative, um die geballte Großartigkeit dieses Songs noch zu beschreiben. Auch ruft „Giants“ ob seiner überwältigenden Wirkung den etwas lästigen Nebeneffekt hervor, das anschließende „Singular“ komplett in den Schatten zu stellen, sodass man erst bei „Night Sight“ wieder zu vollem Bewusstsein gelangt.
„Night Sight“ beginnt mit etwa zweiminütigem Akustikteil (der nicht grundlos an „Damnation“ von OPETH erinnert) und geht anschließend in einen umwerfenden Sturm-Ruhe-Sturm-Wechsel über. Der Klargesang und das Mellotron von Herbrand Larsen zwirbeln den Song in höchste Sphären.
Ähnliche Elemente enthält auch der Schlusssong „Lightening“, der sich mit kraftvollem Drive und einigen vergleichsweise technischen Momenten aber angenehm abhebt und dem Album einen Schlusspunkt mit Ausrufungszeichen verpasst.
Interessanterweise lässt „Axioma Ethica Odini“ den Vorgänger „Vertebrae“ wie ein Durchgangsalbum auf dem Weg von „Ruun“ aussehen. Ein Grund für diesen Anachronismus ist der wieder etwas harschere Gitarrensound, ein anderer die Dichte und Kohäsion der Songs untereinander, die in diesem Maße auf „Vertebrae“ oft nicht gegeben war. Vor allem aber bemerkt man erst im direkten Vergleich dieser letzten drei Alben, was „Ruun“ in der Bandentwicklung alles vorweg genommen hat. Nach dem Genuss von „Vertebrae“ hielt man selbiges Album für einen riesengroßen Schritt in der Bandentwicklung und begann unweigerlich, in „Ruun“ etwas Rohes, Unfertiges zu sehen. Mit „Axioma Ethica Odini“ kehrt sich diese Wirkung ins Gegenteil um.
Sicherlich kann man noch stunden- und seitenlang an „Axioma Ethica Odini“ herumanalysieren, dann würde man allerdings eine Stunde pure Magie totdenken. Manchmal sollte man einfach genießen.