Geschrieben von Mittwoch, 08 Oktober 2025 20:00

A new Zielgruppe rising – RAGE im Interview

„Wie ein altes Ehepaar“ – Lucky und Peavy auf der Bühne „Wie ein altes Ehepaar“ – Lucky und Peavy auf der Bühne Foto: Anne

RAGE haben ein neues Album am Start – und offenbar auch neue Fans! Eine kleine Backstageplauderei über vergangene und gegenwärtige Phänomene.

„A New World Rising“ scheint durch die Decke zu gehen: Nur neun Tage nach Release soll das neue RAGE-Album schon doppelt so viele Streamingaufrufe haben wie der Vorgänger, die Zahl der monatlichen Hörer habe sich verdreifacht. Vor ihrem Auftritt im Kulturwerk Herford (5.10.) erzählen Peter „Peavy“ Wagner (v., b.) und Vassilios „Lucky“ Maniatopoulos (d.) von einem erstaunlichen Zielgruppenzuwachs. Außerdem erfahren wir, wie ihre Ehe läuft, was sich in 40 Jahren RAGE geändert hat und was passieren kann, wenn man zufällig zum richtigen Zeitpunkt die richtige Platte in die Hände bekommt. Punktuelles Zurücklehnen und Cola schlürfen meinerseits inklusive, denn auch Peavy hat zwischendurch eine Frage an seinen Bandkollegen und übernimmt kurz den Interviewerjob – praktisch!

Herzlichen Glückwunsch zum neuen Album, das ja von Presse und Fans gleichermaßen begeistert aufgenommen wurde! Einige der Songs habt ihr bei den letzten Gigs auch schon gespielt. Wie kommen sie beim Live-Publikum an?

Peavy: Super, wir haben einen sehr guten Eindruck.

Lucky: Die werden sogar schon mitgesungen! Das ist immer ein schönes Zeichen, wenn die Leute bei neu veröffentlichten Nummern schon im Chorus mitmachen oder es Szenenapplaus gibt, wenn der Song angesagt wird. Da weiß man dann direkt, die haben das wirklich schon gehört und freuen sich darauf. Das ist super für uns.

Eines meiner Highlights ist der Song „Fire In Your Eyes“, eine Ode an die Metal-Community. Wie kam es dazu, dass der Verein Metality e.V. im Video auftaucht?

Peavy: Ich bin da seit einer Beertasting-Aktion in Coronazeiten Mitglied und es beeindruckt mich sehr, was diese Leute auf die Beine stellen. Nicht nur in Sachen Charity – auch, wie sich hier integrativ um Menschen gekümmert wird, die es nicht so einfach haben, an Festivals teilzunehmen, oder die am Rande der Gesellschaft stehen. Unter anderem das hat mich zu dem Songtext inspiriert. Und als die Idee aufkam, einen Videoclip zu drehen, habe ich bei den Jungs und Mädels nachgefragt, ob sie uns Material zur Verfügung stellen können. Gerade die Szenen mit Rollstuhl-Crowdsurfing auf Wacken sind natürlich total geile Bilder.

In letzter Zeit musstet ihr in Interviews zum neuen Album oft die immer gleichen Fragen beantworten. Gibt es etwas, das ihr momentan der Welt gerne sagen würdet, das aber bislang untergegangen ist oder nicht zur Sprache kam, weil es einfach nie gefragt wurde?

Lucky: Tatsächlich haben wir das Gefühl, dass dieses Album uns Zugang zu jüngeren Menschen verschafft! Das ist wirklich erstaunlich, denn wir wissen ja eigentlich, wer unsere Zielgrupe ist, und kennen die Blase um uns herum – viele Leute schon seit etlichen Jahren. Das hat sich immer in ungefähr derselben Alterskategorie bewegt. Was gar nicht schlecht ist, das passt alles super. Aber seit diesem Album sehen wir immer mehr Mitte-20-Jährige mit RAGE-Shirts, und zwar die modernen, neuen RAGE-Shirts. Ich rede da nicht von einem oder zwei, sondern von zig jungen Leuten! Und auch viele Posts auf Instagram kommen plötzlich von jüngeren Fans.

Ich weiß nicht, ob das jetzt einfach die Zeit ist, der Film, oder ob dieses Album tatsächlich eine Prise mehr Modernes hat … vielleicht auch, dass wir die letzten paar Jahre kontinuierlich darauf hingearbeitet haben – oder eine Kombination aus allem. Oder liegt’s am Ende am Jean, weil der einfach so ein junger Typ ist und so verflucht gut aussieht?

Es geht darum, den Song zu verstehen – nicht um den Wettbewerb am Instrument.

Was ich an eurer aktuellen Konstellation interessant finde, ist, dass ihr alle drei Sänger seid – auch wenn du, Peavy, natürlich mit den Leadvocals im Mittelpunkt stehst. Hat das irgendeinen Einfluss auf euer Songwriting?

Peavy: Nicht in erster Linie. Wir schrauben die Songs üblicherweise erstmal aus groben Harmonie-Ideen und einer Schlagzeug-Grundstruktur zusammen. Die Melodien kommen von mir, die Gitarrenarrangements von Jean, und Lucky sorgt später für den Herzschlag und baut die ganzen rhythmischen Schmankerl ein.

Lucky: Die Tatsache, dass sowohl Jean als auch ich neben dem Instrument noch Gesangserfahrung haben, führt aber vielleicht dazu, dass man musikalischer denkt. Also ich denke nicht als Drummer, dass ich jetzt unbedingt mein nächstes Fill präsentieren muss, sondern als Musiker: Wonach schreit der Song? Und was gebe ich dem? Soll er eher minimalistisch bleiben oder braucht er mehr? Es geht mehr darum, den Song zu verstehen, nicht um den Wettbewerb am Instrument.

Peavy: Ich bin sehr froh, dass wir das alle nicht haben müssen, dieses Show-Off. Das hatte ich ja lang genug in der Band, dass es da viel um sowas ging. Das ein oder andere Mal hat mich das echt genervt, dass der Song immer weiter in den Hintergrund gerückt ist und es eigentlich nur dieses Rumgeschrubbe war. Jeder will zeigen, was er drauf hat und der Song wird missbraucht, richtig vergewaltigt. Es gibt natürlich Künstler, bei denen das Publikum gerade das hören will. Aber ich glaube nicht, dass das RAGE-Publikum das unbedingt so goutiert.

Rage komplett klKein Show-Off, dafür sensationelle Stimmung beim RAGE-Gig in Herford. Foto: Anne

Wo du schon dieses Mindset ansprichst: Im Laufe der Zeit hatte RAGE 17 Mitglieder. Wie siehst du als Fels in der Brandung die ganzen Besetzungswechsel?

Peavy: Ich habe es nicht drauf angelegt, dass es so gekommen ist. Ich beneide Bands, die im Großen und Ganzen noch mit dem ersten Lineup arbeiten können. Aber das hängt halt viel von Zufällen ab. Es ist ja ganz oft so, dass es gar nicht unbedingt im Streit auseinander geht, sondern dass Leute einfach eine andere Lebensperspektive haben oder einen anderen Weg für sich suchen. Und gut, es gab natürlich auch persönliche Differenzen, da hat man einfach gemerkt, das passt jetzt nicht mehr. Das war vor allem bei Mike Terrana und auch bei Victor Smolski der Fall. Aber mit im Grunde allen anderen hätte es nicht sein müssen, nicht von meiner Warte aus.

Das war auch oft wirklich ein Zusammenbruch, aus dem man sich dann erst mal wieder hocharbeiten musste. Sowas wirft eine Band natürlich immer ein bisschen zurück und du brauchst dann wieder mindestens ein, zwei Alben, um dahin zu kommen, wo du vorher warst. Vor allem, wenn die Fans eine Person zu ihrem Liebling erkoren haben – es gibt ja immer so Gitarristenfans, die haben dann einen bestimmten Favoriten. Ich kriege heute noch Kommentare wie „Wo ist Manni Schmidt, wo bleibt Victor Smolski?“ ... Leute, das ist 30 Jahre her oder so, warum sollte ich den Typen wieder in die Band holen, weißt du?

Es soll ja kein Soloprojekt von mir sein. Mir ist daran gelegen, dass es wirklich eine Band ist.

Du hast es auf jeden Fall immer geschafft, dich wieder auf neue Leute einzustellen und etwas Neues daraus zu machen. Das hätte vielleicht auch nicht jeder hingekriegt.

Peavy: Ich versuche natürlich immer, alle so weit wie möglich einzubeziehen. Es soll ja kein Soloprojekt von mir sein – dann könnte man auch gleich mit Mietmusikern arbeiten. Mir ist schon dran gelegen, dass es wirklich eine Band ist. Und da bin ich jetzt eigentlich sehr froh: Lucky und ich sind ja schon seit Ende der 80er Freunde und in der Band funktioniert das auch schon seit zehn Jahren sehr gut. Mal von kleinen Reibereien abgesehen …

Lucky: Die gibt’s in jeder Ehe!

Peavy: Genau, wie so’n altes Ehepaar. Aber die grundsätzliche Vision, die teilen wir auf jeden Fall. Und ich glaube, mit Jean haben wir unseren Counterpart gefunden, der diese Linie mitträgt und so liebt, wie sie ist. Und der sich nicht auf dem Rücken der Band profilieren will oder den Namen als Cash-Cow sieht oder sowas. Das gab es halt auch mal.

Jean ist ja tatsächlich vom RAGE-Fan zum RAGE-Mitglied geworden. Lucky, bei dir war das vor langer Zeit so ähnlich, oder?

Lucky: Ja, für mich war RAGE in zweierlei Hinsicht der Einstieg in die Rock- und Metalwelt. Zum einen, weil ich mir mit knapp 15 Jahren von meinen gerade zusammengesparten 20 Mark die „Perfect Man“ gekauft habe. Ich hatte den ganzen Tag in einem LP-Laden in Bottrop verbracht und alles Mögliche angehört. Aber den Song „Wasteland“ fand ich total faszinierend, das werde ich nie vergessen, sowas kannte ich nicht. Da war ich noch ein kurzhaariger Bengel – und ein Jahr später hatte ich lange Haare, ein Totenkopf-Shirt und gehörte zur Szene. Und zum anderen habe ich im selben Jahr auch noch den Chris (Christos Efthemiadis, Drums bei RAGE 1987–1999) kennengelernt und wurde sein Drumtech. Und so schloss sich dann einfach dieser Kreis.

Das hättest du dir damals in dem Laden wahrscheinlich auch nicht träumen lassen, dass du so schnell Begleiter und irgendwann Teil dieser Band sein wirst.

Lucky: Im Leben nicht! Ich habe nur auf der Rückseite der Platte gesehen, dass da der Chris spielt …

Peavy: Wärst du eigentlich sonst kein Drummer geworden?

Lucky: Doch, aber kein Metal-Drummer. Ich hätte wahrscheinlich weiterhin mit meinem Vater das traditionell Griechische gespielt und so. Aber Metal niemals. Das kannte ich halt nicht vorher.

Lucky am SchlagzeugGlück (!) für die Szene: Durch Zufall stieß Lucky in jungen Jahren auf RAGE und wurde direkt Metalhead. Foto: Anne

Peavy, du bist als jahrzehntelang aktives Mitglied in der Metalszene ja gar nicht drum herumgekommen, die ganzen Entwicklungen seit den 80ern live mitzuerleben. Was würdest du sagen, wo steht die Szene heute im Vergleich zu früher?

An dieser Stelle nostalgiert Peavy ohne Punkt und Komma, mit leuchtenden Augen und in einem Umfang, der diesen Rahmen vollkommen sprengen würde, von seinen ersten Begegnungen mit gitarrenlastiger Musik, vom Tapetrading mit Freunden, vom Sammeln schlecht zusammenkopierter Fanzines, vom Betteln nach der Beschaffung bestimmter Platten beim Ladeninhaber, von der Inspiration aus Nachbarländern, vom erstaunlichen Boom fragwürdiger Schrabbelkapellen („Grausames Gerumpel! Ich dachte, SODOM wird nie jemand signen. Die wussten damals ja nicht mal, wie sie ihre Gitarre halten sollen.“) und von den ersten Anfängen in eigenen Bands. Wo die Szene heute steht, gerät ein bisschen aus dem Blick – aber es ist eine helle Freude, ihm zuzuhören. Ein Versuch der Konkretisierung:

Was unterscheidet denn ein RAGE-Konzert heute von einem RAGE-Konzert 1985 oder 1995? Ist das noch der gleiche Vibe oder etwas ganz anderes?

Peavy: Wir sind besser! Damals waren wir furchtbar, das konnte man sich nicht anhören. Heute sind wir einfach deutlich professioneller. Außerdem waren die ganz frühen Konzerte für mich immer wie ein Rausch. Ich bin auf die Bühne raus und dann war es irgendwie vorbei und ich bin wieder wach geworden. Heute weiß ich genau, was da in jeder Sekunde passiert und habe viel mehr Kontrolle. Klar, das sind einfach 40 Jahre Unterschied. Kann ja nicht dasselbe sein. Aber ich hoffe, dass es die Leute immer noch unterhält.

Da brennt die Luft!

Definitiv! Und gibt es etwas, das im Metal über all die Zeit immer gleich geblieben ist?

Peavy: Die Fans eigentlich. Die Begeisterung der Fans war damals genauso, wie sie heute ist. Die stehen da mit glänzenden Augen, dieses „Fire In Your Eyes“, und fahren total drauf ab, was du da machst.

Lucky: Und es gibt keine andere Gruppe von Menschen, die zu zigtausenden auf so einem Wochenende sind und es gibt keine einzige Schlägerei, kein Nix.

Peavy: Das ist halt eine spezielle Energie bei Metalkonzerten, die bei anderer Musik nicht so kanalisiert wird. Da brennt die Luft – zwischen den Musikern, zwischen der Band und dem Publikum. Dieser intensive Austausch, das hat sich auch nicht verändert.

Anne

Stilübergreifend Fan von packenden Harmonien und Lyrics. Es muss Spaß machen oder berühren – oder beides. In früher Jugend große Seelenanteile an den Powermetal verkauft. Trotzdem nie was mit Drachen und Einhörnern am Hut gehabt. Konzertliebe wiederentdeckt und zur Sucht werden lassen. Frontrowbegeisterung! Lebensziel: Mit 80 immer noch vorne mithüpfen.

Instagram: @now.spring.is.in.the.air

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