Wie war es möglich, dass eine junge, Heavy Metal spielende Londoner Truppe, die um 1975 herum ihre ersten musikalischen Schritte unternahm, zum heißesten Musikexport Großbritanniens und schließlich zu einer der bekanntesten Bands der Welt wurde? Welche Täler musste sie durchlaufen und welche kreativen, manchmal auch unpopulären Entscheidungen wurden getroffen, die den Weg von IRON MAIDEN über 50 Jahre maßgeblich beeinflusst haben?
Mir fiel es nie schwer, eine große Show abzuziehen. Keine Ahnung, warum sich manche Bands so wenig ums Bühnenbild kümmern. Vier Kerle, die aussehen, als hätten sie sich vor dem Auftritt nur schnell auf dem Klo umgezogen – das ist doch fade. Wenn du schon eine Show machst, dann richtig, damit sich die Leute dran erinnern. – STEVE HARRIS
IRON MAIDEN mit Paul Di´Anno 1979 (Foto: Ross Halfin / Quelle: IRON MAIDEN – Infinite Dreams)
All diesen Fragen geht „Infinite Dreams“ nach und schlägt einen Bogen von den ersten kleinen Gigs mit den Sängern Paul Mario Day, Dennis Wilcock und Paul Di´Anno über das kometenhafte Aufsteigen der Band in den 80ern sowie den zwischenzeitlichen Ausstieg von Bruce Dickinson und Adrian Smith bis hin zur heutigen Zeit, in der IRON MAIDEN mit ihrer Run For Your Lives Tour einmal mehr sämtliche Rekorde brechen. Jedes Album und jede Tour, die IRON MAIDEN in den vergangenen fünf Jahrzehnten gespielt haben, werden beleuchtet, und neben den Bandmitgliedern kommen zahlreiche langjährige Weggefährten zu Wort.
Meine Idee war: zuerst London, dann England, dann Europa, dann die Welt! – ROD SMALLWOOD
Wobei „Infinite Dreams“ keine weitere, reine Biographie darstellt, auch wenn der Textanteil für einen Bildband hoch ausfällt. Im Mittelpunkt stehen ganz klar die zum Großteil unveröffentlichten Fotos und Bilder aus allen Schaffensperioden der Band. IRON MAIDEN sind bekanntlich seit jeher eine Band, bei der die Optik eine ganz besondere Rolle spielt – sei es bei ihren mit jeder Tour größer angelegten Bühnenshows, den unzähligen – vor allem durch die sensationellen Arbeiten von Derek Riggs geprägten – Inkarnationen von Eddie oder auch privaten Aufnahmen abseits der großen Auftritte, die meist vom langjährigen Bandfotografen Ross Halfin festgehalten wurden.
IRON MAIDEN - Cover 1981 (Illustrationen: Derek Riggs© / Quelle: IRON MAIDEN – Infinite Dreams)
Hinzu kommt, dass der Perfektionist Steve Harris alles gesammelt hat, was mit seiner Band zu tun hat: Alte Flyer und Annoncen, in denen IRON MAIDEN für ihre Auftritte warben, Zeitungsausschnitte, Tagebuchauszüge und Textentwürfe, die auf Notizzetteln festgehalten wurden.
Eddie stand für eine verlorene junge Generation, die keine Arbeit fand – ein Symbol für verschwendete Jugend. Ich war überrascht, dass die Leute in ihm einen Zombie sahen, dachte mir aber: „Na gut, dann ist er eben ein Zombie.“ – DEREK RIGGS
352 Seiten mit mehr als 600 Abbildungen umfasst der gebundene Bildband (Größe 24,3 x 32 cm), dessen deutschsprachige Ausgabe im Münchener Prestel Verlag erscheint. Der Preis von 59 Euro erscheint mir für ein solches Werk vollkommen angemessen. Das Buch ist hervorragend lektoriert und bietet neben den bereits erwähnten Themenbereichen alle möglichen Hintergrunddetails, wie etwa zu den Instrumenten, die die Musiker im Laufe ihrer Karriere gespielt und ihren persönlichen Ansprüchen entsprechend modifiziert haben.
Ritchie Blackmore und IRON MAIDEN 1982 (Foto: Ross Halfin / Quelle: IRON MAIDEN – Infinite Dreams)
Für mich stellt „Infinite Dreams“ eine wunderbare Zeitreise dar, zumal ich selbst das Glück hatte, bereits im Alter von acht Jahren mein erstes IRON MAIDEN-Konzert zu sehen – 1980, im Vorprogramm meiner Lieblingsband KISS. Und nun verspüre ich tatsächlich eine gehörige Portion Wehmut darüber, dass ich im Verlauf dieser 45 Jahre einigen ihrer Alben ganz sicher nicht die angemessene Aufmerksamkeit zuteil werden ließ und auch so manche Tour von IRON MAIDEN verpasst habe, die ich angesichts dieser Bilder nur zu gerne miterlebt hätte.
IRON MAIDEN sind integer und ehrlich. Wenn ich an so einen Quatsch wie die Rock and Roll Hall of Fame denke … da wollen wir gar nicht rein! Wir sind überzeugt von dem, was wir machen, wir machen es gut, und darüber bin ich froh. Ich kann einfach in einen Supermarkt gehen und mir ein Sixpack Bier holen, ohne dass einer blöd guckt. – JANICK GERS
Vor allem aber verdeutlicht dieser Bildband auf beeindruckende Weise, wie sich das Phänomen IRON MAIDEN innerhalb weniger Jahre über den ganzen Erdball ausgebreitet hat – nicht nur aufgrund der herausragenden musikalischen Fähigkeiten der Band, sondern auch dank des unerschütterlichen Enthusiasmus und Ideenreichtums aller Beteiligten.
World Slavery Tour 1985 (Fotos: Ross Halfin / Quelle: IRON MAIDEN – Infinite Dreams)
Kaum vorstellbar, dass IRON MAIDEN jemals so groß geworden wären, wenn nicht der umtriebige Rod Smallwood frühzeitig ihr Management übernommen und durch Zufall den Künstler Derek Riggs entdeckt hätte, der einen Entwurf eines ausgemergelten Straßenmonsters in seiner Mappe stecken hatte. Dieses Bild landete 1980 in leicht modifizierter Fassung auf dem Cover des ersten Albums – der Rest ist Musikgeschichte …
Mir ist unbegreiflich, wie wir so viel erreichen – so hart arbeiten – konnten, ohne gemeinsam den Verstand zu verlieren. – BRUCE DICKINSON
Was beim Anschauen des Buches immer wieder greifbar wird: IRON MAIDEN sind stets kompromisslos ihren eigenen Weg gegangen und haben nie etwas veröffentlicht, auf das sie nicht hätten stolz sein können. „Infinite Dreams“ dürfte jeden Fan begeistern und ist ein tolles Geschenk für alle, die sich für die Historie der Band interessieren. Ein Buch, in dem man tagelang blättern und immer wieder Neues entdecken kann und das man auch in vielen Jahren noch gerne hervorholen wird, wenn IRON MAIDEN ihr abschließendes Konzert bereits längst gespielt haben.