Sieben Jahre ist es her, seit Chester Bennington sich das Leben nahm. Eine Zäsur für die Band und Millionen Fans. Er galt als Gesicht der Band, seine Stimme als einzigartig und unersetzlich. Sieben Jahre der Spekulation setzten ein, wie es für die Band weitergehen würde, die sich dabei nie auflöste. Ein Comeback sahen viele nur als eine Frage der Zeit, und sie wurde überbrückt mit mehreren Singles – B-Seiten aus der Zeit mit Chester, bislang unveröffentlichte Songs, die er vor seinem Tod eingesungen hatte. Die Band lebte, jedoch fernab vom Rampenlicht.
Gerüchte über Gerüchte
Dass etwas Größeres im Anmarsch war, ließ sich vermuten, als die Band vergangene Woche einen 100-Stunden-Countdown auf ihrer Webseite startete, der der Gerüchteküche gehörig einheizte. Als dann in diesen Tagen auch SUM-41-Sänger Deryck Whibley eine Ankündigung verlauten ließ, flippte das Netz erstmal gründlich aus. Doch das war schlechtes Timing, ein ungünstiger Zufall, Whibley verkündete selbst, er würde nicht LINKIN PARK beitreten.
Die Anspannung blieb also, der Timer lief ab ... und begann von neuem, zählte nun vorwärts, und die Band verkündete ein Statement für den 5. September. Das war ein PR-Stunt erster Klasse, hatte LINKIN PARK doch die gesamte Musikwelt hingehalten und gleichzeitig für größtmögliche Aufmerksamkeit für das Event vom 5. September gesorgt.
Während der Countup zum Stichtag lief, veröffentlichte dann Lizzy Hale von HALESTORM ein Cover von "In The End" und die Gerüchteküche brodelte wieder. Und wie sie brodelte. LINKIN PARK mit Lizzy Hale am Gesang? Die größte Rockband des Jahrhunderts mit einer Frau am Mikro – dieses Gerücht war schon länger durch die Medien gehuscht. Ein Gerücht, das sich als goldrichtig herausstellte – nur eben nicht mit Lizzy Hale.
Comeback per Livestream
Am frühen Freitagmorgen, Mitternacht Deutscher Zeit, konnte man dann im Livestream ein Konzert der Gruppe verfolgen. Die Band betritt die Bühne und spielt direkt ein neues Lied an. Die erste Strophe endet – und plötzlich huscht da ein munterer blonder Schopf mit Mikro in der Hand über die Bühne. Sie stimmt die zweite Strophe an, wunderbar klar und stimmlich eine wohlklingende Ergänzung zu Sänger und Gitarrist Mike Shinoda – und packt im Chorus eine Rockröhre aus, die sich gewaschen hat.
Nicht Lizzy Hale, sondern Emily Armstrong ist das neue Wunderkind am Mikrofon bei LINKIN PARK. Und ja, die beiden kennen sich, waren schon vor zehn Jahren zusammen auf Tournee. Es ist durchaus möglich, dass Lizzy von Emilys Wechsel zu LINKIN PARK wusste und ihr Cover von "In The End" Teil der gesamten PR-Strategie war.
Die neue Single "The Emptiness Machine", mit der die Band das Konzert eröffnete, ist jedenfalls ein konsequentes Debüt für den neuen Weg, den die Band mit Emily gehen möchte. Es greift auf, was bereits da war und geht im selben Zuge neue Wege. Es klingt vertraut und neu zugleich, und ist nebenbei eine ultra starke Rock-Nummer mit Ohrwurm-Charakter sondergleichen.
Wenn die Band bereits nächste Woche auf Welttournee gehen wird, trägt diese den Namen "From Zero", und so darf man wohl auch den Weg der Band verstehen: Es geht gewissermaßen wieder bei Null los. Freilich mit beispielloser Bekanntheit und großzügigem Budget, eine gewisse falsche Bescheidenheit kann dieser Namensgebung, die übrigens auch den Titel des neuen Albums vorwegnimmt, also durchaus attestiert werden.
Doch es kann auch als Appell, ja als Imperativ verstanden werden, den weiteren Weg der Band nicht an Bisherigem zu messen. Emily und Chester zu vergleichen. Sie zu verurteilen und vorzuwerfen, Chester kopieren zu wollen. Nein, wenn LINKIN PARK verkünden, dass es bei Null los geht, nehmen sie Emily in Schutz vor genau diesen Vorwürfen.
Die Ära Chester ist vorbei und sein Erbe lebt, wie Shinoda am Freitag verkündete, in seiner Musik und in den Herzen den Fans weiter, doch die Band macht weiter, wie es wohl auch Chester gewollt hätte.
Liebe Hater, lasst es bitte einfach sein
Das kommt allerdings nicht bei allen gut an. Das Internet ist nunmal das Internet, und so kommen auch riesige Wogen des Hasses nicht zu kurz. Von "This is not Linkin Park", "They should put the band to rest" oder "Please don't call this LP" bis hin zu "Eew, this is yikes" findet sich mehr als genug in den Kommentarspalten, beispielsweise auf Instagram. Wäre es diesen "Fans" lieber, wenn die Band endgültig tot wäre? Lieber nichts machen und all den großartigen kreativen Output versiegen lassen?
Es ist konsequent, dass die Band keinen Sänger einstellt, der auch nur ansatzweise wie Chester klingen oder aussehen würde. Man würde ihn stets mit Chester vergleichen, und dieses Spiel kann nur nach hinten losgehen. Emily Armstrong hingegen scheint die perfekte Wahl. Ihre Stimme klingt besinnlich, ruhig, gefühlvoll in ruhigen Passagen und mächtig, rockig, dreckig, wenn die Rock- und Metalkeule ausgepackt wird. Sie kann das, was Chester konnte, doch sie ist nicht Chester, klingt auch nicht wie er, und sie versucht genau das erst gar nicht. Genau aus diesem Grund ist sie die richtige Wahl.
Es geht weiter für die Band, und schon nächste Woche beginnt eine kurze Welttournee mit sechs Konzerten auf drei Kontinenten, davon eines in Hamburg am 22. September. Die Band wird dabei freilich ihr gesamtes Repertoire der vergangenen 25 Jahre abfrühstücken, und dass Emily das ziemlich rasieren wird, steht außer Frage – das hat sie im Livestream gestern bereits unter Beweis gestellt. Egal, ob "Somewhere I Belong", Nu-Metal-Klassiker wie "One Step Closer" oder moderne Klassiker wie "Numb" – die Dinger sitzen, und zwar verdammt fest.
Das neue Album kommt dann im November – Zeit genug, sich an die neuen Klänge zu gewöhnen, liebe Hater. Die Welt dreht sich und LINKIN PARK mit ihr. Was fünf Herren und eine Frau gemeinsam unter welchem Namen auch immer machen, ist ihre eigene Angelegenheit, die Legende und das Erbe der Band ihr persönliches geistiges Eigentum. Sie haben daran nicht nur ganz offensichtlich viel Spaß und Freude, sondern auch jede Freiheit der Welt, zu tun, wonach ihnen der Sinn steht.
Genau das hat die Band schon immer ausgemacht, und nicht umsonst gleicht kein Album der Band seinen Vorgängern, nichts in der Diskographie dieser Band scheint sich zu wiederholen. In dieser Tradition geht es nun weiter. All der Hate über diesen Weg führt zu nichts, und wisst ihr was? "In the end, it doesn't even matter."
LINKIN PARK sind zurück, Leute. Freut euch doch lieber mal! *zwinker*