Geschrieben von Donnerstag, 12 August 2010 21:10

Wacken Open Air 2010 - Der Festivalbericht

wacken-2010


Hitze, Melkkühe und Musik - Wacken Open Air 2010


Die Wettervorhersage war nicht schön. Man packte Regenklamotten ein, schweißte liebevoll die Running Order in Tütchen und grummelte ein wenig vor sich hin. Es erschien so unfair, nach dem Hitzesommer plötzlich mal wieder ein Regen-Wacken zu bekommen. Also fuhren wir am Donnerstag um 9 Uhr natürlich auch im strömenden Regen aus Hamburg los gen Norden, um das 21. Wacken Open Air feierlich zu beginnen.


Kurz nach Itzehoe wurde es heller. In Wacken war es dann plötzlich sehr hell und sollte auch bis Samstagnacht so bleiben. Der gelbe Planet knallte erbarmungslos auf die Menschenmassen. Ich fand es herrlich! Sonne, Sommer, Metal, Menschen. Was will frau mehr?

Der Check-in ging relativ zügig voran, der Weg zum Presse-Camping war kurz, die Weide voll. Voller als voll, um genau zu sein. Mit sagenhaftem Glück erhaschten wir allerdings mit ein wenig gutem Zureden einen großen, freien Platz direkt hinter den Bussen der Kollegen vom „Metal Hammer“, die sich mit zwei Nightlinern breit machten (haben die in der Hitze da drin gepennt?). Camp aufgebaut und traditionell eine Flasche rosa Sekt geleert - unser Weiberritual an die Götter von Wacken. Angeekelte Blicke der Männer wurden ignoriert.

Um 16 Uhr eröffneten SKYLINE (mit special Guest DORO, wem sonst…) das W:O:A 2010. Es folgten die Metal Hammer Awards (Best Newcomer STEEL PATNTHER, deren Musik  uns die nächsten Tage noch sehr viel Spaß machen sollte) und dann um 17:30 der große alte Herr des Schockrocks, Mr. ALICE COOPER. Gelungene Show mit den üblichen Effekten (köpfen, aufhängen, trallala), recht guter Sound und ein fitter Onkel Alice. Ich habe mich sehr über "When Women Bleed" und "Poison" gefreut, da sind halt doch viele Erinnerungen mit verbunden.  Wenn man die Show aber zum soundsovielten Male anguckt, wird es auf Dauer halt doch ein bisserl langweilig. Gute Show, aber natürlich nicht sehr spannend für die Älteren.

Setlist Alice Cooper:
  • School's Out (Part
  • No More Mr. Nice Guy
  • I'm Eighteen
  • Wicked Young Man
  • Ballad Of Dwight Fry
  • Go To Hell
  • Guilty
  • Cold Ethyl
  • Poison
  • From The Inside
  • Nurse Rozetta
  • Be My Lover
  • Only Women Bleed
  • I Never Cry
  • Black Widow Jam
  • Vengeance Is Mine
  • Dirty Diamonds
  • Billion Dollar Babies
  • Killer
  • I Love The Dead
  • Feed My Frankenstein
  • Under My Wheels
  • Elected 
  • School's Out

Ohne große Erwartungen ging es dann um 20:00 rüber zu MÖTLEY CRÜE. Nach dem 2009er Konzert in Berlin hoffte ich auf ein wenig Spaß und ein paar Hits, mehr aber nicht. Und dann kamen die "Saints Of Los Angeles" und haben einfach alles in Grund und Boden gedonnert, was nicht angebunden war. Noch nie habe ich die Herrschaften so gut erlebt! Und so gut gelaunt auch nicht. Und Vince kann ja doch singen wenn er sich anstrengt! Es war ein einziges Fest und hätte von mir aus gerne noch viel viel länger gehen können als  bis 21:15! Mir ist es ja bis heute ein Rätsel, wie ein Nikki Sixx nach all den Jahren schwersten Drogenkonsums heute wieder so eine Rampensau geworden ist. Aber wie toll für die Rockmusik! Die Massen tobten, feierten und rasteten kollektiv aus. Wunderbar!

Setlist Mötley Crüe:
  • Kickstart My Heart 
  • Wild Side 
  • Shout At The Devil 
  • Saints Of Los Angeles 
  • Looks That Kill 
  • Live Wire 
  • Don't Go Away Mad (Just Go Away) 
  • Same Ol' Situation (S.O.S.) 
  • Mutherfucker of the Year 
  • Ten Seconds to Love 
  • Primal Scream 
  • Dr. Feelgood 
  • Girls, Girls, Girls

Danach ging es erst mal ein paar Drinks wegzischen, die Kehlen waren arg heiser vom Singen und dem Staub, bis man sich zu IRON MAIDEN wieder aufs Gelände bewegen wollte. Ein kurzer Blick von der Brücke reichte mir dann aber aus, um zu wissen: nee, liebe Leute. Mal wieder zu überfüllt. Ganz am Rande hätte man noch relativ locker stehen können, aber da hätte man nicht mal die Leinwand gesehen. Also zurück in den Pressebereich und das Spektakel von da aus verfolgt. Wie im Vorfeld berichtet, spielten Maiden fast ausschließlich neuere Songs - nachdem sie mit "The Wicker Man" anfingen, was der Stimmung ein wenig abträglich war. Richtige Maiden-Fans dürften die Band freudig abgefeiert haben, der Rest fand es ok bis blass. Natürlich sind die Herren musikalisch einwandfrei und Dickinson hat die Massen mit einem einzigen Fingerschnippen im Griff, und zwar bis zum hinterletzten Bierstand auf dem Hügel. Aber die beste Band waren sie nicht.

Setlist Iron Maiden:
  • The Wicker Man
  • Ghost Of The Navigator
  • Wrathchild
  • El Dorado
  • Dance Of Death
  • The Reincarnation Of Benjamin Breeg
  • These Colours Don't Run
  • Blood Brothers (Ronnie James Dio gewidmet)
  • Wildest Dreams
  • No More Lies
  • Brave New World
  • Fear Of The Dark
  • Iron Maiden
  • The Number of the Beast
  • Hallowed Be Thy Name
  • Running Free

Mit viel Getöse wurde dann noch ein wenig weitergefeiert (übrigens ein sehr fettes Lob an den neu gestalteten Presse-Bereich. Sehr hübsch, tolles Essen und wirklich nette Bedienungen!), bis man in den Morgenstunden mehr (Kollegin) oder weniger (ich) ermattet auf die Feldbetten sank.

Freitagmorgen, herrliches Wetter,  eine warme Dusche, ein Kaffee und ab zu ORPHANED LAND.  Das erste Mal hatte ich die Israelis auf dem RHOA´10 erlebt und war sehr begeistert. Und heute konnten sie den Auftritt noch toppen. Das war haargenau die richtige Musik, um den Tag zu beginnen. Melodiöser Metal, gepaart mit orientalischen Klängen, Bauchtanz und einer liebevollen Friedensbotschaft. Nicht nur ich hatte eine Gänsehaut, die gar nicht mehr weggehen wollte. Dann ging es auf Tour über das Infield. Essensstände checken, Freunde besuchen, Termine abmachen, auf ein Interview warten (was nicht erfolgte, wir hüllen uns mal in Schweigen ob der Unprofessionalität…) und dann war Zeit für THE BOSS HOSS.

Letztes Jahr  zum ersten Mal dabei, trotz heftigen Gemeckers im Internet (und natürlich hatten die Herren die Meute in Nullkommanix im Griff), waren die Berliner erneut am Start. Mir erschien es noch mehr Party als 2009. Dazu mag auch beigetragen haben, dass TBH sich größtenteils auf die Hits beschränkten. Und sie haben zumindest einen neuen Fan:  Vor uns stand ein blackmetallisch aussehender Amerikaner, der irgendwann in höchster Verzückung brüllte "You´re fucking briliant!!". Einzig die extremst texanischen Ansagen von Hoss könnten gerne ein wenig deutlicher sein. Ami-Slang ist lustig wenn man eigentlich aus Berlin kommt, aber nimm mal die heiße Kartoffel aus dem Mund, Mann! Versteht ja kein Mensch…

ENDSTILLE muss ich ja erst haben, wenn sie endlich mal still sind, ebenso wie die fragwürdigen FREI.WILD, die auf der Partystage ihr Unwesen trieben. Also lieber bis KAMELOT gewartet und nicht enttäuscht worden. Die Mannen um Roy Khan können mich einfach immer wieder begeistern mit ihrem intelligenten Power Metal. Flugs zurück ins Zelt, etwas Warmes zum Anziehen gesucht (nachts wurde es irrsinnig kalt… kommt gut, Klamotten auf Sonnenbrand!) und sich schon mal wundern, wo die ganzen Dudelsäcke herkommen. Überall Männer mit Röcken und pseudo-schottischer Tracht? Ach so. GRAVE DIGGER fahren ja heute mal ein ganz fettes Brett auf!

Ehrlich gesagt bin ich nicht mehr so der GRAVE DIGGER-Fan, aber was die Mannen um Boltendahl da abgeliefert haben, gehörte mit zum Feinsten, was ich auch der TrueStage je erleben durfte. Zum 30. "Geburtstag" der Band wurde das gesamte "Tunes Of War"-Album zelebriert! Zusammen mit Van Canto, Hansi Kürsch, den Dudelsackmenschen und Doro (muss man der eigentlich was zahlen, damit sie mal wegbleibt?) gab es eine begeisternde Show.

Und nach diesem herrlichen Konzert hatte ich wirklich keine Kraft mehr für SLAYER. Nach dem peinlichen Auftritt aus dem Jahre 2003 haben sie die Schwarte aber  ausgewetzt, wenn man den Kommentaren von Freunden glaubt. ANVIL kamen dann auch noch dran, und irgendwie versteht man dann doch, warum die Jungs es nie so richtig ganz nach oben geschafft haben. Amüsant anzuschauen, in einem kleinen Club jedoch  sicherlich besser aufgehoben als morgens um 1 Uhr auf der TrueStage.

Wir haben es vorgezogen, dann noch ein Ründchen um die Feuertonne zu sitzen, WHITESNAKE zu singen bzw. zu grölen und den Nachbarn den Schlaf zu rauben.  Die Nacht war dann wirklich saukalt, bis es gegen 7 Uhr schon wieder brüllend heiß wurde. Ergab zusammen eine kurze Nacht und einen recht schlurfigen Samstagmorgen. Bevor OVERKILL um 15:45 auf die Bühne kamen, sind wir endlich mal ins Wackinger-Dorf gelaufen um mal zu schauen, was die Ritter so anstellen. Ich finde diese Oase der Erholung persönlich immer noch sehr schön. Man kann gemütlich Leute schauen, alles ist ruhiger als draußen auf dem Infield oder der Metalmeile, und das Essen dort ist einfach unschlagbar gut, zu vernünftigen Preisen und in weitaus besserer Qualität als an vielen der anderen Buden. Was man vom "Wacken-Land" leider nicht behaupten kann. Tittenshows, Wrestling und anderes Gedöns wie "Ich bin ein Hengst, ich stech mir Nadeln durchs Gesicht" braucht vielleicht die Ballermann-Fraktion der Wacken-Besucher, aber sonst keiner! Schafft da lieber Platz für eine größere Mittelalterbühne.

OVERKILL rummsten dann pünktlich auch den verkatertsten Fan aus dem Zelt und zelebrierten wie gewohnt und erwartet allerfeinsten Thrash Metal. Waren die eigentlich schon mal nicht gut? Man merkt den Jungs einfach an, wie sehr sie Wacken lieben und wie gerne sie hier aufspielen.  D.D. kam aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus, und irgendwann möchte ich mal einen Papa wie Bobby haben! Göttlich!

Setlist Overkill:
  • The Green and Black 
  • Rotten to the Core 
  • Wrecking Crew 
  • Hello from the Gutter 
  • Coma 
  • Hammerhead 
  • Ironbound 
  • In Union We Stand 
  • Bring Me the Night 
  • Elimination 
  • Fuck You
  • Overkill 
  • Fuck You (Reprise)

LOCK UP spielten jetzt. Deathgrind. Ähmja, ich ging dann besser mal fünf Liter Wasser  trinken und loste dann aus, welche Band ich diesen Abend angucken sollte. Ich hatte noch nie so viele Probleme mit den Überscheidungen wie dieses Jahr. Am liebsten hätte ich mich ja in vier Teile zerfetzt, um EDGUY, STRATOVARIUS, TYR und DEBAUCHERY alle in voller Länge sehen zu können. Letztendlich sollten es EDGUY werden, weil wir danach eh fahren mussten.

Vorher aber noch W.A.S.P.. Nun gut. Blackie ist ein feister Brummer geworden und hat Stiefel an, die aussehen, wie Hüttenschuhe mit Puscheln in beigerosa. Aber die MUSIK! Ich weiß ja nicht, was er und seine Mannen vorher eingenommen haben, aber davon möchte ich bitte auch was haben! Ein fantastischer Sound, irrsinnig gut aufgelegte Musiker (Duda sorgte mal wieder für kollektives Sabbern bei den Damen) und eine geile Setlist. Besonders "The Idol" sorgte für Gänsehautfeeling, während bei "Wild Child" natürlich alles schön aber falsch mitjaulte. Noch so eine Band, von der ich nicht allzu viel erwartet hatte, die sich aber ebenfalls selber übertraf.

Danach - mittlerweile schon ganz schön geschlaucht von der Höllenhitze und den Massen - haben wir unser Camp abgebaut, das brave Auto beladen und uns auf die für uns letzte Band des Festivals eingenordet: EDGUY. Und Sammet hatte es schwer zu Beginn. Schon der Blick von der Brücke zeigte einem, dass das Infield bedeutend leerer war als am Abend vorher. Das Wetter forderte allmählich seinen Tribut. Aber Sammet wäre nicht der, der er ja nun einmal ist, wenn er und die Jungs nicht alles versuchen würden, um die müden Köpfchen nochmal hochzukriegen.

Mit "Dead Or Rock" krachten Edguy in den Abend hinein, bis sie zwei Songs später (Tobi sagt ja immer "Sssong" mit weichem "s". Sorgt immer für breite Grinser…) mit "Tears Of A Mandrake" die Leute endgültig am Jubeln hatten. Man muss Sammet nicht mögen, aber man kann den Kerl durchaus schlitzohrig-albern-charmant nennen. Und dann macht es einfach wie immer einen Höllenspaß. Markus Großkopf stand dann auch noch plötzlich auf der Bühne und spielte fleißig zwei Songs mit. Er war der Ersatz für Eggi, der mit einem Bein schon im Kreißsaal stand, weil er Papa werden sollte.  Bei den nächsten Konzerten wird Großkopf dann auf jeden Fall Eggi vertreten. Da man eh schon gefühlsduselig war, kam dann "Save Me" - und da musste ich dann doch ein wenig schniefen. Wacken zu Ende, Eggi wird Papa, die Sonne geht unter, der Sommer ist zu Ende. Bittersweet…

"King Of Fools" beendete dann das reichlich kurze (1 Stunde) Konzert, und eine Stunde später saß man zu Hause auf dem Sofa und hatte reichlich zu tun mit den engen Wänden, der Stille und der plötzlichen Einsamkeit. Das war also Wacken 2010.


Fazit:

Ich kann nur für mich persönlich reden - es war eines der besten Wacken jemals! Natürlich zu voll, teilweise überhöhte Preise (Billigmineralwasser 2,50 € anstatt 0,19 € ist doch recht happig), natürlich Event-Ottos, die viel saufen können aber bei Mötley Crüe nicht wissen, wer das ist. Wenn sie überhaupt mal den Weg aufs Infield geschafft haben. Aber mir kam es entspannter vor als die letzten 3 Jahre.

Die Organisation war perfekt, die Secus freundlich (jedenfalls die, die ich so gesehen habe), die Sanis sehr schnell, wenn Not am Mann war. Wir hatten ausreichend Duschen, für die männlichen Backstagler hätten es eventuell gerne zwei bis 12 Klokabinen mehr sein dürfen, aber das sind Luxusprobleme. Gerne hätte ich noch mehr Bands angeschaut.
Meiner Meinung nach ein großer Schwachpunkt: Ändert endlich mal was an der WET-Stage. Oder lasst nicht Bands wie Lizzy Borden oder Lake Of Tears da im Zelt verrotten. Dieses stinkende, eklige Zelt ist einfach nicht mehr zeitgemäß und VIEL zu klein.

Kleiner Seitenhieb: Uwe Trede sagte vor drei oder vier Jahren "Metaller kann man so schön melken…" Und was prangt auf den VIP-Ausweisen? Eine Kuh. Na Danke J

Tüdelkopp des Festivals: Bekannter wollte seiner Frau beweisen, dass er nüchtern ist. Geht zu den Promille-Politessen. Pustet. 1.8…

Hüpfer des Festivals: Freundin Nine. Schon doof, wenn man nur 1.56 ist, der Duschknopf aber 2 Meter hoch hängt…

Band des Camps, obwohl nicht zugegen: Steel Panther

Trinker des Festivals: Nachbar Kai. 3 Liter Jägi. Pur. Entsetzen ist gar kein Ausdruck…

Alles in allem hatte ich zuletzt 2003 so ein entspanntes und friedliches Fest, danach wirklich lange nicht mehr. Ich vermisse den blöden Acker jetzt schon. Und mit Avantasia und den Suicidal Tendencies sind schon wieder zwei Knaller bestätigt. Hilft ja alles nix - ich muss wieder hin!

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