Geschrieben von Montag, 04 September 2017 22:52

Uli Jon Roth - Bericht aus dem Hirschen in Nürnberg

ULI JON ROTH, jedem Rockfan als Saitenhexer der SCORPIONS in den 70ern bekannt, befindet sich momentan auf großer Tournee, um die Veröffentlichung der DVD/Blu-ray von „Tokyo Tapes Revisited: Live In Japan" gebührend auf die Bühnen der restlichen Welt zu bringen. Die Magie des legendären Livealbums „Tokyo Tapes“ von 1978 in einem neuen Licht erstrahlen zu lassen, ist die Intention hinter den ausgiebigen Shows. Dabei beehrte der Düsseldorfer am 31. August den Hirschen in Nürnberg.

Der Sänger der Vorband STRAYIN’ SPARROWS eröffnet den Gig mit den Worten „Ich weiß, ihr seid alle wegen Uli hier …“. Die sympathischen Regensburger verkürzen mit ihrem dreckigen Bluesrock, der auch schon mal in psychedelische Sphären steigt, die Wartezeit ungemein. Dem erdigen 70s-Gebräu mischen sie noch eine gehörige Portion Rock’n’Roll und Garage bei. Eine junge Band, der man unbedingt sein Ohr leihen sollte.

Die Wespe, die kurz zuvor noch zwei Musiker der Vorband gestochen hatte, schien vom Stachel des Ex-SCORPIONS zum Rückzug gezwungen worden zu sein, als der Maestro mit seinen jungen Mitstreitern unter jubelndem Applaus der rund 500 anwesenden Zuschauer die Bühne betritt. Mit dem Stampfer „All Night Long“ heizt die Band dem Publikum von Beginn an gleich mächtig ein. Ulis einzigartige Riffs und Soli erzeugen sofort dieses Fantasy-Flair, was die SCORPIONS in den Seventies so auszeichnete. Beflügelt wird dieser Eindruck auch optisch von seinem typischen Indianer-Outfit, seiner elegant geschwungenen Sky-Guitar, an deren Halsende der Traumfänger hängt, der zusammen mit seiner mit Stirnband geschmückten Mähne im Ventilatorwind weht. Ein Anblick, wie man ihn sich immer vor Augen führte.

„The Sails Of Charon“ zeigt unmissverständlich, welche Klasse hinter diesem Gitarristen und vor allem welches immenses Potenzial hinter diesem Song steckt, betont er doch in der neuen Version die orientalische Anmutung durch progressivere und komplexere Herangehensweise besser als im Original. Stark!

Schade ist, dass Sänger Nathan James (INGLORIOUS) aus den Japan-Konzerten nicht mit an Bord ist. Der zweite Sänger und Gitarrist Niklas Turmann stellt jedoch unter Beweis, dass auch er alleine Klaus Meine würdig vertreten kann, denn er versucht wie James erst gar nicht die glasklare, schneidende Stimme des Originals zu imitieren, sondern verleiht den Versionen einen eigenen raueren Charme. Wie er sind auch am Bass (Nico Deppisch) und an den Keyboards (Corvin Bahn) Mitglieder der deutschen Progressive-Rocker CRYSTAL BREED im Bandgefüge, das um den GAMMA RAY-Drummer Michael Ehré ergänzt wird. Alle samt sehr talentierte Musiker, die vielleicht etwas zu statisch agieren, oder eben einfach nur ehrfürchtig dem Meister den Vortritt lassen, was man ihren stolzen Gesichtern ablesen kann, und ihm einen satten Soundteppich wie in dem ausgelassenen Blueser „Sun In My Hand“ auslegen.

Everything seems to call your name

„We’ll Burn The Sky“, mein Lieblingssong der SCORPS, widmet Roth Monika Dannemann, die die Lyrics schrieb und die letzte Freundin von Jimi Hendrix und auch Roths langjährige Lebenspartnerin war. „I’m in love with the sunshine, I’m in love with the fallin’ rain, everything seems to call your name“ lassen staunende Augen feuchter werden – ein ergreifender in Musik umgesetzter Kampf zwischen Freiheit und Liebe. Ein Song über das Schicksal des Lebens, das oft erbarmungslos zuschlägt. Tränchen abwisch.

In die gleiche Kerbe schlägt ein weiterer Klassiker: „Hey baby tell me can't you hear me calling, I’m in a trance“. Er wechselt ähnlich zwischen ruhigen sehnsüchtigen und härteren fordernden Passagen, die sich zu einem fulminanten Höhepunkt hinaufschrauben, wo Sänger Turrmann etwas an seine Grenzen stößt. Im „ahhahhahhahhahhahh…“ kann man die zurückhaltende Menge etwas zum Mitsingen animieren.

Roths Kommentar, die Songs stammen aus einer Zeit, als es nur Vinyl gab, lassen mich zu einem „und deren Cover noch Regenbögen zierten“ hinreißen. Da verwundert es nicht, dass sich als erster Höhepunkt der Show „Fly To The Rainbow“ erweist. Nach einem improvisierten, zauberhaften, an die Klassik gemahnenden und flamencomäßigen Prelude wird dem Publikum die Quintessenz der „Hippie“-SCORPIONS präsentiert: ein atmosphärischer Trip durch psychedelische, hardrockige und progressive Gefilde. Über allem thront dieses majestätische, gefühlvolle und virtuose Spiel, das Uli Jon Roth zurecht auf den Thron der Gitarrengötter hievt, und das jetzt auch die Menge enthusiastisch und lautstark feiert.

Die Sky-Guitar singt

„Dark Lady“ nimmt ebenfalls epische Ausmaße an und entpuppt sich als zweites Highlight des Abends. Der sessionartige, bluesige Mittelteil, wo sich auch Keyboarder Bahn schön einbringt, lässt die Sky-Guitar „singen“. Ihre sphärischen Töne schweben wie auf Wellen durch den schwülen Raum des Hirschen. Immer wieder driftet sie in dunkle Sphären hinab, bevor sie erneut zu ungeahnten Höhen ansetzt. Könnte ich ewig hören. Es gipfelt in den Moment, wo man die extreme Lautstärke nicht nur in den Ohren spürt, sondern auch im Bauch. Die verzerrten experimentiellen Parts klopfen mächtig gegen die Magenwand. Du musst Rockmusik nicht nur hören, du musst sie am ganzen Körper spüren. Verdammt, ich liebe diesen Shice! Der Schlussteil groovt wie Hölle, in der sich Drummer Ehré mit Roth in Augenkontakt befindet. Sein besessener Blick: unbezahlbar!

Die Jimi Hendrix-Cover „All Along the Watchtower“ und „Little Wing“ als Zugaben verdeutlichen nochmals eindringlich, wem Uli seine unermüdliche Leidenschaft zu verdanken hat, als er als kleiner Knirps zum ersten Mal das Gitarrengenie hörte. Selbst sein Part am Mikro erinnert wie in allen anderen Liedern, in denen er singt, im Style verdächtig an das große Idol. Spätestens jetzt fährt jedem Besucher ein seliges Grinsen ins Gesicht.

ULI JON ROTHs Versuch, die frühe SCORPIONS-Zeit zu reinkarnieren und neu zu interpretieren, ist vollends geglückt. Die Unvergänglichkeit der alten Songs wurde in zeitgemäßer Weise nochmals hervorgehoben. Seine Musik hat bis heute nichts von ihrer Genialität verloren.

Dass ich neben diesem fantastischen Hör- und Seherlebnis auch noch Uli persönlich in der Autogrammstunde in einem Smalltalk über Vinylplatten und Billy Corgan kennenlernen durfte, zählt sicher zu den besonderen Momenten in meinem Leben. Das Personal des Hirschen ist sehr freundlich und schnell und stellte mir in meiner Verzweiflung, nun das handsignierte Poster mit Widmung dem wie aus Eimern gießenden Regen opfern zu müssen, einen überdimensionierten blauen Sack zur Verfügung. Das nenne ich Lebensrettung!

Die Nacht lässt mich auf den einsamen Straßen mit all meinen wunderbaren Eindrücken und gleichzeitig kummergeplagten Gedanken zurück. Die Regentropfen prasseln unnaufhörlich an die Autoscheibe …