Avantasia - Moonglow Tipp

Avantasia - Moonglow
    Symphonic/Power Metal/Rock

    Label: Nuclear Blast
    VÖ: 15.02.2019
    Bewertung:9/10

    AVANTASIA im Web


Der Drei-Jahres-Rhythmus scheint sich seit "The Wicked Symphony"/"Angel Of Babylon" eingebürgert zu haben: Obwohl Tobias Sammet ja auch mit EDGUY zu tun hat, erscheint 2019 schon wieder ein neues AVANTASIA-Werk namens "Moonglow".

Ausgestattet mit einem kitschig-schönen Artwork des Schweden Alexander Jansson geben sich auf dem achten Studioalbum wieder namhafte Gastsänger die Ehre: Schon mehr oder weniger lange dabei sind Michael Kiske (HELLOWEEN), Eric Martin (MR. BIG), Jorn Lande, Bob Catley (MAGNUM), Ronnie Atkins (PRETTY MAIDS) und Geoff Tate (ex-QUEENSRYCHE). Frisch an Bord darf man Hansi Kürsch (BLIND GUARDIAN), Candice Night (BLACKMORE’S NIGHT) und Mille Petrozza (KREATOR) begrüßen.

An der Instrumentalfraktion hat sich nichts geändert. Das altbewährte Team, bestehend aus Sammet, der neben den Vocals Bass gespielt und zusätzliche Keyboards beigesteuert hat, Sascha Paeth (Gitarre und Bass), Miro Rhodenberg (Keyboards, Klavier, und Orchestration) und Drummer Felix Bohnke, ist seit Jahren aufeinander eingespielt und funktioniert wie ein Uhrwerk.

"Moonglow" beginnt episch

Der Opener "Ghost In The Moon" knüpft nahtlos an den Vorgänger an. Nicht nur textlich, auch musikalisch zitieren AVANTASIA "Mystery Of A Blood Red Rose". Oder anders gesagt: Noch mehr MEAT LOAF ohne MEAT LOAF geht nicht. Das anfängliche Piano prägt den epischen Zehnminüter genauso wie die Chöre im Hintergrund und der höchst eingängige Chorus. Tempowechsel, Breaks, Soli und luftige Orchestrierungen lassen keine Langeweile aufkommen. "Ghost In The Moon" ist der einzige "Moonglow"-Track, auf dem Tobias Sammet alleine für die Vocals verantwortlich ist. Dabei singt er so leidenschaftlich und inbrünstig, dass man den anfänglichen Gedanken, Bob Catley oder eben Meat Loaf könnten dem Song zusätzliche Magie einhauchen, schnell ad acta legt.

Nach so viel opulentem Bombast fahren AVANTASIA in "Book Of Shallows" schwere Doublebass-Geschütze auf. Gleichzeitig eröffnen Sammet & Co. den Reigen an Gästen: Neben den mittlerweile zur Stammbesetzung gehörenden Ronnie Atkins (PRETTY MAIDS) und Jorn Lande ist erstmals Hansi Kürsch (BLIND GUARDIAN) auf einem AVANTASIA-Werk zu hören. Der Fünfminüter lebt von dem tighten Zusammenspiel der Sänger, Überschalltempo, knackigen Riffs, einem Ohrwurm-Refrain und einem ganz besonderen Kontrast: Auch Mille Petrozza (KREATOR) feiert seinen Einstand und begleitet eine brettharte Passage mit seinem monotonen Gekeife und duelliert sich mit Sammet sowie Kürsch. Klingt zuerst höchst ungewöhnlich, entpuppt sich aber schnell als einer der Höhepunkte.

Opulenz, Bombast und Melodien, wohin man hört

Der Titeltrack, erneut eröffnet von Pianoklängen und hintergründig untermalt von einigen Effekten, entpuppt sich als hochmelodische Halbballade, zu der die zauberhafte Candice Night (BLACKMORE'S NIGHT) Vocals beisteuert.

Das zweite Epos "The Raven Child" beginnt ruhig mit mittelalterlichen Melodien und Harfenspiel, bevor es mit Unterstützung der gesamten Band in einem bombastischen Refrain explodiert. Die Stimmung erinnert an eine Mischung aus "The Scarecrow" und "Let The Storm Descend Upon You". Wenn dreieinhalb Minuten vor dem Ende imposante Bläser und Chöre einsetzen, das Tempo angezogen wird und das Trio Sammet, Kürsch und Lande wirklich alles gibt, ist Gänsehaut garantiert.

AVANTASIA straucheln kurz, fangen sich aber schnell wieder

Danach können AVANTASIA eigentlich nur verlieren. "Starlight" fällt zwar angenehm kurz aus und Ronnie Atkins' Vocals retten den Song vor der Belanglosigkeit, doch die modernen, an "Rat Race" erinnernden Einsprengsel und das Fehlen einer wirklich packenden Harmonie machen die Nummer zur schwächsten auf "Moonglow".

Die düster beginnende, gefühlvolle Ballade "Invincible" versteht sich eher als Bindeglied zum dramatischen "Alchemy", in dem Geoff Tate gastiert. Mit einer Vehemenz, die ich ich dem ehemaligen QUEENSRYCHE-Fronter nicht zugetraut hätte, stellt er unter Beweis, dass er nach wie vor unglaublich gut und leidenschaftlich singen kann, wenn er denn will. Musikalisch erwartet den Hörer eine schnörkellose Nummer ohne viel Bombast, mit großartigem Chorus.

Großartige Reminiszenzen an "The Metal Opera", mittelprächtiger Abschluss

Im positiv gestimmten, flotten "The Piper At The Gates Of Dawn" geben sich Tobias Sammet, Ronnie Atkins, Jorn Lande, Geoff Tate, Eric Martin und Bob Catley die Klinke in die Hand. Abgesehen von Keyboard-Sprenklern erinnert die Nummer spätestens im großartigen Refrain an AVANTASIA-Frühwerke.

"Lavender" fährt wieder auf dem MEAT LOAF-Train, kann es trotz opulentem Rockoper-Refrain, Bob Catleys gewohnt souveräner Performance und schönem Gitarrensolo aber nicht ganz mit ähnlichen Songs wie "The Story Ain't Over" oder eben "Mystery Of A Blood Red Rose" aufnehmen. Dennoch ist "Lavender" ein hörenswerter Track.

In "Requiem For A Dream" ist dann die Zeit für den Mann gekommen, der ohne Sammet vermutlich weder bei UNISONIC noch wieder bei HELLOWEEN zu hören wäre: Michael Kiske lässt seine unnachahmliche Stimme in einem schnellen, epischen Song erklingen, der ihm wie auf den Leib geschneidert scheint und Erinnerungen an die beiden "The Metal Opera"-Teile weckt. Sammet tobt sich derweil am Bass aus und kommt sogar zu einer kleinen Soloeinlage.

Mit dem MICHAEL SEMBELLO-Cover "Maniac" beenden AVANTASIA ihr achtes Studioalbum, sagen wir mal, ungewöhnlich. Laut Sammet passte der Track textlich hervorragend zur Thematik des Albums, musikalisch ist die Umsetzung mit Eric Martin auch gut, aber für das Ende eines solch epischen Albums ein ziemlicher Reinfall. Vielleicht liegt's auch daran, dass ich den Song im Original schon ziemlich schwach finde.

Trotz kleinerer Schatten stimmt das hell leuchtende Ergebnis

Während Songwriting und Umsetzung fast durchgehend begeistern können, wirft der Mondschein doch ein paar kleinere Schatten. Die Produktion ist mir zu flach geraten. Der Klang kommt ohne wirkliche Dynamik aus. Die Vocals stehen im Vordergrund, dafür klingen die Gitarren ziemlich dünn, die Drums drucklos. Das war schon bei vorherigen Alben der Fall, macht die Sache aber nicht unbedingt besser. 

Außerdem fühlt sich die Reihenfolge der Songs irgendwie nicht ganz richtig an. Mit ein paar Umpositionierungen in der Tracklist hätten AVANTASIA noch einen Tick mehr erreichen können, und "Starlight" sowie "Maniac", das dem Album als Abschluss vor vorher aufgebaute Spannung und Dramatik nimmt, sind höchstens okay - würden aber vielleicht auch anders wirken, wenn sie woanders positioniert worden wären. Aber das sind im Albumkontext tatsächlich Kleinigkeiten, über die man bei der Güte und Abwechslung der Songs und Sänger gerne hinweg sieht.

Denn eines steht fest: Außer Arjen Lucassen kenne ich keinen Künstler, der so verschiedene Stimmen auf solch unnachahmliche Art miteinander verweben kann. Bei AVANTASIA passt jeder Sänger zu seinem Song, Hit- und Ohrwurmdichte sind selbst bei elfminütigen Rockopern enorm, und auch, wenn Tobi und seine Mannen manchmal eine etwas kantigere Seite gut tun würde: "Moonglow" ist ein weiteres lohnenswertes AVANTASIA-Album, mit dem jeder glücklich werden sollte, der die Vorgänger mochte.

Trackliste von "Moonglow":

01. Ghost In The Moon
02. Book Of Shallows
03. Moonglow
04. The Raven Child
05. Starlight
06. Invincible
07. Alchemy
08. The Piper At The Gates Of Dawn
09. Lavender
10. Requiem For A Dream
11. Maniac

AVANTASIA sind:

Tobias Sammet | Gesang, zusätzliche Keyboards & Bass
Sascha Paeth | Gitarre & Bass
Michael Rodenberg | Keyboards, Klavier & Orchestration
Felix Bohnke | Schlagzeug