Dream Theater - A Dramatic Turn Of Events Tipp

dream theater a dramatic turn

Stil (Spielzeit): Progressive Metal (77:01)
Label/Vertrieb (VÖ): Roadrunner Records (09.09.11)
Bewertung: 9/10
dreamtheater.net

Vergessen wir mal die ganzen Querelen und das Hin und Her nach Mike Portnoys Ausstieg, zu dem Gitarrist John Petrucci und Sänger James LaBrie in Interviews mit den größten deutschen Musikmagazinen klar und deutlich Stellung bezogen haben. Blenden wir auch die hochglanzpolierte, übertrieben aufgeblasene und im Endeffekt eher peinliche "The Spirit Carries On"-Dokumentation auf der Suche nach einem neuen Drummer aus, und konzentrieren uns auf das Wesentliche: DREAM THEATER machen wieder ganz fantastische Musik, und Neuzugang Mike Mangini ist die beste Wahl, die die Prog Metal-Könige hätten treffen können. Punkt.

Mangini war zwar nicht in das Songwriting zu "A Dramatic Turn Of Events" eingebunden, und es bleibt fraglich, ob er in Zukunft auch nur halb so stark am Writing-Prozess beteiligt wird, wie es Portnoy als Mitgründer der Band immer gewesen ist. Doch trotz – oder eben gerade wegen – seines Ausstiegs klingt die neue Scheibe mehr nach den klassischen DREAM THEATER der frühen Neunziger als alle Outputs seit "Scenes From A Memory" zusammen genommen. Die Versuche, mit dem Drummer selbst einen zweiten Sänger neben LaBrie zu etablieren, allzu moderne Ausflüge und knüppelharte Passagen sowie die auf Alben wie "Octavarium" oder "Systematic Chaos" vorherrschenden, deutlichen MUSE-Anleihen sind weitestgehend aus dem Bandsound verschwunden oder wurden abgeschwächt, wenn auch noch Relikte davon zu hören sind, wie etwa im tatsächlich wieder ein klein wenig an MUSE erinnernden, mit harten Riffs und verfremdeten Gesang versehenen "Build Me Up, Break Me Down", dessen wundervoller Chorus zehn mal mehr Eier und Herzblut hat, als das im Refrain ganz ähnlich gelagerte "Forsaken", oder in "Outcry", das zu Beginn einige sehr moderne Effekte beinhaltet. DREAM THEATER haben von dem Ausstieg ihres ehemaligen Drummers profitiert, das muss man ganz klar sagen. James LaBrie klingt selbstbewusst und großartig wie lange nicht mehr, was daran liegen dürfte, dass sein Drummer, Bandkollege und zugleich härtester Kritiker nicht mehr an Bord ist und sich der Vokalist wieder ganz alleine und ohne Vorgaben auf seine Gesangslinien konzentrieren durfte. Petrucci, Rudess, Myung, dessen Bass auf "A Dramatic Turn Of Events" schön deutlich nach vorne gemischt wurde, und selbstverständlich Mangini stehen voll hinter dem viel kritisierten Sänger, der auch live in der Form seines Lebens zu sein scheint.

Die Songs auf "A Dramatic Turn Of Events" klingen ganz klassisch nach DREAM THEATER, wie eine Mischung aus "Images & Words", "Awake" und "Scenes From A Memory". Da gibt es völlig verrückte, kaum nachvollziehbare Instrumentalteile wie zu Beginn von "Lost Not Forgotten", einer hektischen, schnellen Nummer mit vielen Schlenkern und typischen DREAM THEATER-Melodien. Mit "This Is The Life" (knapp sieben Minuten lang, episch und abwechslungsreich), "Far From Heaven" (sehr ruhig) und "Beneath The Surface" (streichelt die Seele und ist sehr berührend, wenn LaBrie am Ende völlig aus sich heraus geht) sind gleich drei (Halb-)Balladen auf der CD gelandet, und das vorab veröffentlichte "On The Backs Of Angels" wächst mit jedem Durchlauf und hat sich zumindest bei mir nach anfänglicher Enttäuschung zu einem klassischen, stimmungsvollen DREAM THEATER-Song der besten Art entwickelt. Daneben finden sich mit dem dunklen, erneut sehr harten, im Chorus extrem eingängigen "Bridges In The Sky", "Outcry" (erst kraftvoll, melancholisch und eingängig, dann eine spannende Präsentation der instrumentalen Fähigkeiten) und "Breaking All Illusions" (was für eine Melodielinie!) drei kleine Epen, die jeweils mit einer Spielzeit von elf bis zwölf Minuten über die Ziellinie laufen und zwar keine grundsätzlichen Neuerungen bieten, dafür aber altbewährte DREAM THEATER-Trademarks in das Jahr 2011 transportieren und die richtige Mischung aus Härte, progressiver Vertracktheit und melodischen Akzenten mit sich bringen. Und das kann eben niemand besser als die Prog-Könige selbst.

Im (punktemäßig im Nachhinein vielleicht einen Tick zu hoch gegriffenen) Review zu "Black Clouds And Silver Linings", das nach wie vor absolut großartig tönt, habe ich geschrieben, dass es das beste Album seit "Scenes From A Memory" sei. Das hat nach wie vor Gültigkeit, doch "A Dramatic Turn Of Events" befindet sich definitiv auf Augenhöhe und ist der erhoffte, aber nicht unbedingt erwartete Befreiungsschlag einer Band geworden, die sich endlich wieder auf ihre Grundsätze konzentriert und dabei so entspannt und frei wie lange nicht mehr tönt.