Mit Last Rites, dem zweiten und finalen Teil seiner Autobiografie, schlüpft der Mann, der einst in den Katakomben Birminghams den Heavy Metal erfand, nochmal in die Rolle des Geschichtenonkels, der zwischen der eigenen Leidensgeschichte der vergangenen Jahre ziemlich stilsicher regelmäßig abschweift in spektakuläre Anekdoten der vergangenen 60 Jahre. Das Werk erschien am 15. Oktober hierzulande in deutscher Übersetzung und wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.
Zwischen Krankenhaus und Konzertbühne
Last Rites, geschrieben mit Hilfe des Journalisten Chris Ayres, schildert also die letzten sechs Jahre des Osbourne‘schen Daseins; leider eine Zeit zwischen Operationssälen und Studios, zwischen Krankenbett, Sharon und Mikrofon und getrieben vom ständigen Willen, endlich gesund zu werden und die letzte Tournee doch noch zu spielen, die gesundheits- und pandemiebedingt mehrmals verschoben und schließlich in sprichwörtlich schmerzvoller Einsicht, dass es nicht anders geht, abgesagt werden musste.
2019, nach einem Unfall im eigenen Schlafzimmer – Ozzy stürzte nach einem nächtlichen Gang zur Toilette stagediveartig ins Bett, verfehlte selbiges jedoch und brach sich den Hals –, begann eine medizinische Odyssee, die ihn fortan durch zig Behandlungen, Rückfälle, Genesungsversuche und Abzocken durch dreiste Ärzte im US-Gesundheitssystem führte. Die Schilderungen darüber sind drastisch, aber selten klagend. Sie tragen eben den eigentümlichen Humor, der den verpeilten Fürst der Finsternis schon immer vor Pathos bewahrt hat.
Und so entfaltet sich das Buch irgendwo im Spannungsfeld zwischen Bühne (= Sehnsuchtsort) und Krankenbett (= Schlachtfeld). Die medikamentöse Abwärtsspirale, Schmerzmittel gegen die Nebenwirkungen von Schmerzmitteln, wird dabei zur bitteren Allegorie auf ein Leben, das seit jeher zwischen Rausch und Selbstzerstörung pendelte. Und doch klingt aus diesen Seiten keine Verzweiflung, sondern eine merkwürdige, angenehm altersmilde Dankbarkeit: Selbst noch da zu sein, während so viele viel jünger abtreten mussten – darüber wundert sich Ozzy auf vielen Seiten. Das ist nicht Koketterie, sondern Erkenntnis.
Mama
Heimliche Heldin des Buches wie auch überhaupt in Ozzys Leben ist freilich Sharon. Ehefrau, Managerin, Retterin, gelegentlich Mutterersatz. Sie kanalisiert das Chaos, organisiert den Wahn, sie verwaltet den Mythos. Ohne sie hätte es Last Rites wohl ebenso wenig gegeben wie jene über vier Jahrzehnte währende Karriere. Und wahrscheinlich wären die meisten Anekdoten auch nur halb so witzig. Ozzy nennt sie liebevoll „Mama“, und so schräg der Kosename für die Ehefrau ist, bringt er doch das Verhältnis der beiden zueinander sehr präzise auf den Punkt.
Und ja, Mama I’m coming home ist wirklich Sharon gewidmet. Der Text stammt allerdings aus der Feder von Lemmy. Ozzys Verhältnis zur hochgebildeten Gefühlsrocker-Schnapsdrossel von MOTÖRHEAD rollt der Fürst der Finsternis auch in diesem Werk liebevoll auf, ja weist ihm fast eine Schlüsselrolle zu.
Zwischen Mythos und Mensch
Wer bei Last Rites sowas wie eine Beichte der Sünden der vergangenen Jahre erwartet, wird allerdings nur mäßig bedient. Ja, Ozzy geht selbstkritisch mit vielen seiner Amtshandlungen als Galionsfigur der dem Wahnsinn anheimgefallenen Rockstars um, erzählt von Drogen, Exzessen, Tourneen und Zusammenbrüchen, doch nie aus dem Bedürfnis nach Sensation oder wirklich tiefer Reue. Eher wirkt es, als würde er zum ersten Mal versuchen, den eigenen Lärm zu verstehen. Und zwischen Selbstironie und Melancholie blitzt tatsächlich etwas auf, das wohl niemanden so sehr überrascht wie Ozzy selbst, nämlich so etwas wie Weisheit.
Die Kunst des Überlebens
Last Rites liest sich stellenweise wie eine Parabel über das Altern in der Popkultur. Was geschieht, wenn die Körper der Götter den Glanz ihrer Mythen nicht mehr tragen können? Osbourne antwortet, indem er das Unausweichliche annimmt und dennoch weiterkämpft – die Fans waren schließlich immer da, und sie liebten ihn trotz aller Konzertabsagen mehr denn je. Sein Witz, seine Schamlosigkeit und vor allem sein kindliches Staunen über den unwahrscheinlichen Weg, den sein Leben nahm, blieben bis zuletzt intakt.
Als Leser verlässt man Last Rites mit einer eigentümlichen Mischung aus Ergriffenheit und Erleichterung. Der Mann, der sein Leben lang regelmäßig mehr oder weniger aus Versehen an der Pforte des Sensenmannes klopfte, hat ihm in diesem Buch die Schärfe genommen. Dennoch schmerzt es, ja es hat fast etwas Tragisches, wenn Ozzy über die Gefühlsachterbahn schreibt, die sein letztes Konzert in Birmingham bereitete, dort wo alles begann und begleitet von allem, was in und außerhalb der Szene Rang und Namen hat. Die Hoffnung, auch danach sich nochmal mit Jake E. Lee zu treffen, seinen Ex-Gitarristen und Nachfolger von Randy Rhoads, den er am selbigen Abend zum ersten Mal seit 38 Jahren wieder sah.
Der Fürst der Finsternis verabschiedet sich jedenfalls mit einem Buch, das lauter und menschlicher daherkommt als so manch geleckte Künstlerbiografie. Das Ding ist ein selten ehrlicher Schlussakkord. Es erzählt vom Mühsal des Überlebens, der Würde des Scheiterns, vor allem aber von der Sehnsucht nach der, Zitat „besten Droge, die ich je genommen habe“ – die Energie eines jeden Konzerts, das Ozzy in den vielen Jahrzehnten seines bewegten Lebens gab. Schade, dass es zu Ende ist, denn langweilig wurde es wirklich nie. Weder das Buch, noch das Dasein dieses Menschen.
Mach’s gut, Ozzy – danke für alles. Wir lieben dich auch.