The Big Four - Live From Sofia, Bulgaria (Doppel-DVD) Tipp



Stil (Spielzeit): Thrash Metal (ca. 5 Std.)
Label/Vertrieb (VÖ): Universal (29.10.2010)
Bewertung: 9/10

Link

Es war wohl das Ereignis des Jahres: METALLICA, SLAYER, MEGADETH und ANTHRAX, die Big Four des Thrash Metal, hatten es endlich zu der gemeinsamen Tournee gebracht, die seit Jahren von Fans erträumt wurde. Für sieben Konzerte wurde dieser Traum Wirklichkeit, weitere Big Four-Dates in Amerika könnten laut Kirk Hammet folgen. Bereits am 22.06.2010, als das Konzert in Sofia, Bulgarien in vielen Kinos auf der ganzen Welt live übertragen wurde, konnte sich jeder auf eine DVD-Nachlese freuen. Während im Kino verkürzte Sets gezeigt wurden, enthält die prall gefüllte Doppel-DVD bzw- Blu-ray nun die kompletten Gigs aller vier Bands, dazu kommt eine 45-minütige Dokumentation.

Vielleicht hat sich manch einer gefragt, warum sich die Big Four für Sofia entschieden haben. Nach dem Genuss der fünfstündigen Doppel-DVD kann man es sich denken: Die Fans feiern jede (!) Band so gnadenlos ab, als wäre es das allerletzte Konzert, das sie jemals zu sehen bekommen würden. Die Stimmung bei den zig Tausend Fans ist gigantisch, es werden Riffs mitgesungen, bei denen man sich so etwas nicht hätte träumen lassen. Das sorgt für eine permanente Gänsehaut und hat die Bands vermutlich noch zusätzlich angestachelt, ihr Bestes zu geben.

Den Anfang bei Sonnenschein machen ANTHRAX, die wie auch MEGADETH und SLAYER eine Stunde auf der Bühne stehen. Obwohl ich kein ausgesprochener Fan der Band bin und das Besetzungskarussell ziemlich erbärmlich finde, muss ich anerkennend zugeben, dass Scott Ian, Joey Belladonna, Frank Bello, Rob Caggiano und Charlie Benante die Menge bereits als erste Band der Big Four fantastisch im Griff haben. An diesem Tag in Bulgarien werden nur Klassiker der Bandgeschichte ausgepackt, dazu zählen der Opener "Caught In A Mosh", "Got The Time", "Madhouse" und "Indians", das als Tribut an den kürzlich verstorbenen Ronnie James Dio in "Heaven & Hell" übergeht. Die Amerikaner sind sichtlich beeindruckt von dem stimmstarken und feierwütigen Publikum und liefern einen energetischen Auftritt ab.

Nachdem Belladonna noch dem Wettergott für sonnige Aussichten dankte, starten MEGADETH ihren Set bei düsterem Wetter und Regen. "Holy Wars... The Punishment Due" gibt den perfekten Eröffnungssong, der direkt in das fantastische "Hangar 18" übergeht. Die bulgarischen und aus anderen Ländern angereisten Fans feiern MEGADETH mit Sprechchören und singen sogar die Gitarren bei "Hangar 18" mit. Dave Mustaine, Chris Broderick, dem wiedergekehrten Dave Ellefson und Shawn Drover ist der Spaß auf der Bühne deutlich anzusehen. Mustaine bedankt sich mehrmals aus tiefstem Herzen bei den Fans, die ohrenbetäubend viel Krach machen und sich durch ein klasse Best Of-Set mit "Head Crusher", "Skin O' My Teeth", "Sweating Bullets", "A Tout Le Monde" (am beeindruckendsten), "Symphony Of Destruction" und "Peace Sells" feiern. Die vier Amerikaner sehen wie der heimliche Headliner aus und spielen sich in einen wahren Rausch. Was Mustaine und Broderick an der Gitarre veranstalten, lässt einen ein ums andere Mal die Kinnlade herunter klappen; Ellefson marschiert stolz und dauergrinsend über die Bühne, und Drover geht wie die drei anderen Musiker völlig aus sich heraus. Wenn Mustaine sich beim Outro fett grinsend und selig mit einem "We hope you had a great time, we sure did. Good Night!" von der Bühne verabschiedet, kann man festhalten: MEGADETH gehören auf genauso große Bühnen wie METALLICA!

Als dritte und letzte Band vor dem Headliner sind SLAYER dran, die als Livemacht bekannt sind. Auch in Sofia sorgen Tom Araya, Jeff Hanneman, Kerry King und Dave Lombardo für große Begeisterung, vor allem Klassiker wie "War Ensemble", "Seasons In The Abyss", "Angel Of Death", "Raining Blood" und "South Of Heaven" hauen gut rein. Allerdings liegt Araya beim Gesang mehr als einmal daneben, und obwohl Hanneman und King sicher superbe Gitarristen sind, sind die meisten Soli für mich einfach nur purer Lärm, den jeder mit einer gewissen Geschwindigkeit auf dem Griffbrett hin bekommen würde. Das sehe ich anscheinend als einziger so, und die quietschenden Soli mögen ein Markenzeichen von SLAYER sein – trotzdem hört sich "Seasons In The Abyss" mit dem halbmelodischen Hanneman-Solo in der Studioversion eindeutig besser an als mit wildem Geschrammel. Obwohl es sich um gute Songs handelt, scheinen neue Nummern wie "World Painted Blood", "Beauty Through Order" und "Hate Worldwide" die bulgarische Meute eher kalt zu lassen.
Ich bleibe dabei: SLAYER sind sicher die schnellste, brutalste und "böseste" Combo der Big Four und perfekt dazu geeignet, seinem angepissten Gemüt Luft zu machen, im Vergleich zu den anderen Bands aber einfach überbewertet.

Als Initiator und erfolgreichste Band der vier Thrash-Größen ist es an METALLICA, den Headlinerstatus zu beziehen. Nicht nur das übergroße Logo auf dem Cover, auch die doppelt so lange Spielzeit und Ausnutzung der gesamten riesigen Bühne untermauert den Status der Metalgröße. Wie immer jagt einem "The Ecstacy Of Gold" mit Tausenden von mitsingenden und mitklatschenden Anhängern einen Schauer über den Rücken, das "Ride The Lightning"-Doppel "Creeping Death" und "For Whom The Bell Tolls" eröffnen den Reigen an Klassikern von "Kill Em All" bis zum schwarzen Album, die von ein paar "Death Magnetic"-Nummern und "Fuel", bei dem riesige Feuersäulen in den Nachthimmel schießen, flankiert werden. Ein gut aufgelegter James Hetfield bedankt sich mehr als einmal bei dem Hexenkessel vor ihm und den drei anderen Bands, Kirk Hammet soliert klasse, und das Tier Robert Trujillo stampft über die Bühne, als wollte er sich gleich auf einen Roadie stürzen. Einzig Lars Ulrich, der auf den vorherigen DVDs noch unter Beweis stellte, wie agil und kraftvoll er nach all den Jahren noch trommeln kann, agiert unter seinem Niveau. Das Timing ist stellenweise mehr schlecht als recht, und vor allem die Bassdrum wird längst nicht mehr so oft malträtiert wie zuvor. Vielleicht liegt das zum Teil auch an der Abmischung, die für mich weit von dem druckvollen, basslastigen Sound von "Francais Pour Une Nuit" entfernt ist. Während ANTHRAX, SLAYER und MEGADETH sehr gut abgemischt sind und sich der Klang passend zu den verschiedenen Stilausrichtungen voneinander unterscheidet, hat man bei METALLICA das Gefühl, das der Livemetallica-Sound nur ein klein wenig aufpoliert wurde und ihm nicht die gleiche intensive Pflege zuteil wurde wie noch auf "Orgullo, Pasion Y Gloria" oder eben der Frankreich-DVD.

Doch konzentrieren wir uns wieder auf den Auftritt der Thrash-Giganten. "Harvester Of Sorrow" und das unglaublich gute "Fade To Black" begeistern die Massen ebenso wie das Doppel "That Was Just Your Life" und "Cyanide", das verdammt schnell dargeboten wird. Überhaupt zocken METALLICA so einige Songs schneller als die Studioversionen. Das ausladende Feuerwerk bei "One" ist wie immer schwer beeindruckend, das rasende "Blackened" ist wie auch "Welcome Home (Sanitarium)" und "Master Of Puppets" einer der Höhepunkte des Auftritts. Die Setlist ist ganz gut, wenn auch überraschungsarm. Da hatten METALLICA schon weit coolere Setlists am Start. "All Nightmare Long" hätte mal wieder gegen "My Apocalypse" ausgetauscht werden können, um damit auch mal zu DVD-Ehren kommen zu können, mit Hits wie "Enter Sandman" und "Nothing Else Matters" machen METALLICA bei so einem Event aber natürlich alles richtig. Die Zuschauer geben alles, ständig branden Sprechchöre auf, der Mitsinganteil ist schier gigantisch. Endgültig rasten die Fans aus, als bei der ersten Zugabe bis auf Dreiviertel von SLAYER sämtliche Bands zusammen auf der Bühne stehen und eine verflucht coole Version von "Am I Evil?" (leider nur den ersten Teil des Songs) zum Besten geben. Hetfield, Ulrich und Mustaine zusammen auf einer Bühne – das hätte man sich vor fünf Jahren wohl nicht in seinen kühnsten Träumen vorstellen können. Ein wirklich historischer Moment, der diese DVD zu etwas ganz Besonderem macht. Mit dem frisch herunter gerotzten "Hit The Lights" und dem ausladenden "Seek And Destroy" als Abschluss verabschieden sich METALLICA nach einer zweistündigen Performance von der Bühne.

Als Bonus erwartet den Fan noch eine Doku, die interessante Backstageszenen und Blicke hinter die Bühne bietet. Sehr interessant ist beispielsweise die Probe zu "Am I Evil?". Allerdings keimt an einigen Stellen der Verdacht auf, dass sich SLAYER (bis auf Lombardo und Araya) ein wenig fehl am Platz fühlen und sich mit den in Erinnerungen schwelgenden, glücklichen anderen Musikern nicht ganz identifizieren können.

Obwohl es METALLICA in letzter Zeit mit Veröffentlichungen ein wenig übertreiben und die letztjährigen Gigs in Nimes und Mexico City noch ein kleines Stück besser waren, ist dieses historische Dokument ein absolutes Muss für jeden, der auch nur ansatzweise etwas von Thrash Metal versteht. METALLICA und SLAYER spielen routiniert und gut, ANTHRAX haben Feuer unterm Hintern, aber es sind überraschenderweise MEGADETH, die mich in diesem Package mit am meisten überzeugen. In welchem Format auch immer: Dieser fünfstündige Rundumschlag gehört in jede gottverdammte Sammlung!

Anthrax:
1. Caught In A Mosh 6:07
2. Got The Time 3:41
3. Madhouse 4:39
4. Be All, End All 7:44
5. Antisocial 6:55
6. Indians/Heaven & Hell 9:48
7. Medusa 5:54
8. Only 6:44
9. Metal Thrashing Mad 2:44
10. I Am The Law 7:13

Megadeth:
1. Holy Wars... The Punishment Due 5:49
2. Hangar 18 5:39
3. Wake Up Dead 3:39
4. Head Crusher 3:49
5. In My Darkest Hour 4:59
6. Skin O' My Teeth 3:14
7. A Tout Le Monde 4:24
8. Hook In Mouth 4:39
9. Trust 5:09
10. Sweating Bullets 4:59
11. Symphony Of Destruction 4:09
12. Peace Sells / Holy Wars Reprise 9:40

Slayer:
1. World Painted Blood 6:27
2. Jihad 4:29
3. War Ensemble 5:11
4. Hate Worldwide 3:09
5. Seasons In The Abyss 6:24
6. Angel Of Death 5:29
7. Beauty Through Order 5:14
8. Disciple 5:04
9. Mandatory Suicide 4:24
10. Chemical Warfare 5:39
11. South Of Heaven 4:19
12. Raining Blood 5:00

Metallica:
1. Creeping Death 6:24
2. For Whom The Bell Tolls 4:24
3. Fuel 4:19
4. Harvester Of Sorrow [Kirk Doodle] 6:44
5. Fade To Black 7:39
6. That Was Just Your Life 6:46
7. Cyanide 6:27
8. Sad But True 7:44
9. Welcome Home (Sanitarium) 6:04
10. All Nightmare Long 9:04
11. One 7:04
12. Master Of Puppets 8:37
13. Blackened 7:57
14. Nothing Else Matters 5:24
15. Enter Sandman 6:33
16. Am I Evil? 7:07
17. Hit The Lights 3:28
18. Seek And Destroy 7:44